Christoph Türcke Der Hase und das Mädchen

Plotpoints 2002

„Schon der Computer als neue Leitmetapher, erst recht aber Bruder Robot bieten uns heute die Chance einer radikalen Umorientierung. Wir müssten wieder (wieder!) begreifen, dass der Mensch den Göttern und Maschinen ähnlicher ist als den Tieren.“ So Norbert Bolz, einer der Herolde der neuen Medien, vor einem halben Jahrzehnt. Wie viel Identifikation mit der Übermacht der Mikroelektronik steckt doch in solchen Worten – und wie viel Vergesslichkeit. Im Bann des Bildschirms erinnert man sich nun einmal nicht gern daran, dass Menschen zunächst einmal ein Tiere sind; besondere Tiere zwar, die sich mit unsäglicher Zähigkeit und Geduld beigebracht haben, Werkzeuge herzustellen, Sprache zu formen, Bilder zu gestalten; Tiere, die damit ein besonderes Kapitel in der Naturgeschichte aufgeschlagen haben; aber eben doch Tiere, nicht Maschinen.Der Mensch, der vom Tier im Menschen absieht, von Stoffwechsel und Verdauung, ohne die kein Mensch Programme machen, nicht einmal seine eigene Physiologie mit einem Programm verwechseln könnte ­– er macht die Rechnung ohne den Wirt. Kinder spüren das noch ganz unmittelbar. Sie behandeln Tiere als ihresgleichen, reden ganz ungehemmt mit ihnen, projizieren eigene Wünsche und Ängste umstandslos in sie hinein und verlernen die Nähe zum Tier erst in dem Maße, wie sie in die Standards der Kultur eingeübt werden.

In den neunziger Jahren stand Medienkunst hoch im Kurs. Wer auf sich hielt, machte Internetprojekte. Inzwischen sind viele Künstler von diesem Zug abgesprungen. Manche sind gar nicht erst aufgesprungen. Zu ihnen gehört Franek. Sie hat nie aufgehört, an die Malerei zu glauben, und nicht von ungefähr sind es immer wieder Kinder und Tiere, die ins Zentrum ihrer Bilder rücken. Allerdings geschah das noch nie so programmatisch wie in ihrer Serie „Trauschauwem“. Man könnte auch sagen: „Der Hase und das Mädchen“. Auch wer nicht weiß, dass schon auf einem Bild, welches die zwölfjährige Franek malte, ein Mädchen mit einem Hasen tanzt, kann sich an drei Fingern abzählen, dass die neue Serie stark autobiografische Züge hat. Das Mädchen ist sie – natürlich nicht 1:1, sondern vielfach übermalt, aber doch so, dass das Kind, das sie nie aufgehört hat zu sein, immer wieder anrührend durch die Verkleidungen späterer Jahrzehnte hindurchlugt. Und der Hase? Nun, der ist das, was die Psychoanalytiker einen „Container“ nennen würden. Da hat sie alles hineingetan, was sie – mehr oder weniger bewusst – bewegt, bedroht und beglückt. Nicht, dass ich das entschlüsseln könnte

Gewöhnlich gilt der Hase als Inbegriff der Friedlichkeit. Der Hase als wohl gekleideter Herr hingegen, der sich raumgreifend neben einem Mädchen dehnt, übt eine eigenartige Irritation aus. Seine Friedlichkeit ist von etwas anderem unterlaufen, aber erst, wenn man länger hinschaut, bemerkt man, wovon. Es steckt latente Bedrohung und Gewalt in diesen Hasenmännern. Sie tritt nicht plump zum Vorschein; sie lauert. Und das macht sie in einem genauen Sinn des Wortes unheimlich. „Unheimlich“ nennen wir ein Fremdes, das uns gleichwohl vertrauter ist, als wir möchten. Man kennt, was einen aus den Hasenmännergesichtern anschaut, weil man damit seine ganz eigene unliebsame Bekanntschaft gemacht hat. Aber gerade dadurch werden die Hasenbilder auch zu Bildern des Betrachters. Sie öffnen sich ihm. Er kann sie mit seinen Erfahrungen besetzen, ohne die Erfahrungen kennen zu müssen, die die Malerin gemacht hat. Und doch darf man das Bild, wo das Mädchen mit angeschnittenem Gesicht wie eine zerbrochene Puppe auf dem Boden liegt, während der mit Aktentasche und Mantel ins Weite schreitende Hasenherr ihr den Rücken zukehrt, getrost als Nachhall und Chiffre heftigster Erfahrungen lesen. Als verborgene wirken sie freilich stärker als sie es je könnten, wenn sie detailliert ausgebreitet würden.

Dennoch ist das Unheimliche nur eine Dimension in diesen Bildern. Die Assoziation von Kind und Hase hört andrerseits nicht auf, ein Sinnbild befriedeter Natur zu ergeben. Bei Franek ist dies Sinnbild zwar gelegentlich bis an den Rand der Unkenntlichkeit getrübt, aber nie vollends ausgelöscht. Es zieht sich wie eine hauchfeine utopische Firnisschicht über den unheimlichen Untergrund. Denn „Trauschauwem“ heißt immer auch: Eigentlich möchte ich trauen können, ohne schauen zu müssen, wem. Und wo wäre die Sehnsucht danach besser aufgehoben als in der Vorstellung davon, wie Kind und Tier zwanglos miteinander spielen. Der Reiz der Bilder liegt in ihrer Verschlüsselung. „Da ist viel drin“, geben sie dem Betrachter zu verstehen; „ich sage dir aber nicht, was.“



tanzt mit Hasen
Trauschauwem 18
Trauschauwem 2