Berliner Künstler im Gespräch: FRANEK

Journalstudio Sender Freies Berlin 25.06.1980

Sprecher:   Wenn wir die Dinge in ihrer rechten Perspektive sehen wollen, müssen wir die Vergangenheit des Menschen ebenso verstehen wie seine Gegenwart. Deshalb ist das Verständnis der Mythen und Symbole von entscheidender Bedeutung. Diese Sätze von C.G.Jung bildeten vor gut 2 Jahren die Präambel einer Ausstellung in der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf, einer Ausstellung von Sabine Franek-Koch mit dem Titel „Maya. Spuren, Zeichen, Deutung, Bilder“. Die Berliner Künstlerin Sabine Franek-Koch, geboren in Potsdam, aufgewachsen in Mülheim an der Ruhr, einst Schülerin von Fred Thieler und Mac Zimmermann an der HfBK, dann jahrelang als Kunsterzieherin an einem Berliner Gymnasium tätig. Sabine Franek- Koch also liebt es in der Vergangenheit zu schürfen, Spuren alter Kulturen zu sichern, Mythen, Zeichen, Symbole, Piktogramme, Relikte, bis hin zu ganz realen Fundstücken in ihre eigenen Bilder zu integrieren, sie zu paraphrasieren, sie in neue künstlerische Zusammenhänge zu bringen. Sie war in Ägypten, und sie war in Mittelamerika, wo sie den kulturellen Lebensformen des versunkenen Mayareiches nachging. Und sie war im Mai diesen Jahres in Südamerika, in Peru, wo sie die prähistorischen Spuren der Nazca-Kultur sicherte, um sie in eigene Bilder umzusetzen. Die ersten Resultate der Nazca-Recherchen sind zur Zeit in Friedenau in der Galerie Forum Aktuelle Kunst in der Saarstrasse 7 zu besichtigen. Eine seltsam reizvolle Ausstellung, noch bis zum 10. Dezember, die uns angeregt hat, die nachforschende Malerin ins Journalstudio einzuladen. Guten Tag Frau Franek-Koch. Zunächst möchte ich ganz grundsätzlich fragen: wie und wann sind sie dazu gekommen, sich mit diesen vergangenen Kulturen zu beschäftigen?

FRANEK:      Schon zu Beginn meines Studiums haben mich märchenhafte, traumhafte und mythologische Dinge angeregt und interessiert. Ich habe sie damals auch in meine Graphiken – ich habe damals hauptsächlich Druckgraphik gemacht – einbezogen und auch selbst neu erfunden und entwickelt. Später als ich dann 1974 nach Ägypten kam, fand ich dort meine eigenen Gestalten wieder, zum Beispiel Tier-Mensch-Figuren, die ich sonst noch nie gesehen hatte, die ich eigentlich immer selber erfunden hatte. Durch dieses Erlebnis bin ich dann immer mehr in den Bann alter Kulturen hineingezogen worden. Ägypten war der Anfang. Später habe ich versucht über Ägypten nach Mexiko zu kommen. Hauptsächlich habe ich mich dort mit der Mayakultur beschäftigt.

Sprecher:   Das war 1977/78, ja?

FRANEK:     Das war 78, im Januar 1978 bin ich  dorthin gefahren und habe mich ganz speziell in die Mayakultur vertieft. Ich habe mir fast alle Maya-Kultstätten angesehen, ich hab sie erlebt. Ich war fasziniert von der Symbiose von Natur und Architektur, verfallenen Fragmenten und Ruinenstätten. In meinem Inneren habe ich immer wieder versucht, die Feste und Rituale, die dort stattgefunden haben müssen, mir auszudenken. Und dann später, nach meiner Rückkehr, habe ich mich mit der Literatur über diesen Stamm, diese alte Kultur beschäftigt, wissenschaftliche Recherchen betrieben. Ich habe versucht, einzelne Glyphendeutungen zu finden und die Zahlensysteme, die astronomischen Aufzeichnungen zu entschlüsseln.

Sprecher:   Es hatte ja zu dieser Ausstellung damals in Wilmersdorf 1979 einen Katalog gegeben, der den Untertitel hatte – den Titel hatte ich schon genannt, also den Untertitel – „Ein Aneignungsprozess“ und da war ja einiges von dem, von dem Sie gerade berichtet haben zu lesen. Wie sind Sie nun auf Peru, wie sind Sie auf Nazca gekommen?

FRANEK:      Durch die Beschäftigung mit den Mayaglyphen, also den Zeichen, bin ich dann überhaupt auf Zeichen und Symbole gekommen. Ich habe versucht mich auch immer weiter von den Mayas zu entfernen, weil es bei mir ja im Grunde genommen ein Auslöser war, um Bilder zu machen. Danach entstand das „Verzeichnis“,ein Rollenobjekt, wo sämtliche Zeichen der Menscheit, soweit ich sie erfassen konnte, verzeichnet wurden: abrufbar, abwickelbar  und damit auch jederzeit greifbar - vergleichbar mit einem Lexikon, wo man Dinge abrufen kann, die ich dann für meine Bilder nutzen konnte, je nachdem, wie sie sich anboten.

Sprecher:   Nun erzählen Sie doch mal: wie war das in Peru? Sie hatten ein Stipendium, glaube ich?

FRANEK:      Ja, ich habe mir dann als Höhepunkt dieser Zeichenrecherchen als Ziel die Erdzeichen in Peru vorgenommen, mir gewünscht, diese gigantischen Zeichnungen zu erleben, sie zu begehen und ein ganz neues Verhältnis zur Zeichnung zu entwickeln. Schließlich ist es ein Unterschied, ob man ein kleines Zeichen oder eine Zeichnung vor sich hat oder ob man sich in einem Zeichen bewegt: die Zeichnung als Choreografie. Ich hatte mich damals also 1980 um ein Stipendium bemüht, das hat aber nicht so schnell geklappt. Bin dann schließlich nach Peru geflogen mit dem Vorsatz, dort gewisse Dinge zu tun, auch das Medium Film einzubeziehen. Als ich zurückkam fand ich die Zusage einer Projektförderung vor, ein Stipendium, das ich praktisch in meiner Abwesenheit bekam.

Sprecher:   Kleine Zwischenfrage: wer war so interessiert Ihnen dieses Stipendium zu geben?

FRANEK:      Ich hab hier vom Berliner Senat Hilfe bekommen, da gibt es Arbeitsstipendien, die an verschiedene Künstler verteilt werden. Dann hatte ich das gleiche Projekt auch in Bonn eingereicht, beim Kunstfonds...

Sprecher:   ...das ist eine der Nachfolgeorganisationen der gescheiterten Nationalstiftung, ja?

FRANEK:      Ja. Und da hatte ich auch besonders das Medium Film betont – das hätte ich allein mit dem Berliner Stipendium nicht machen können. Ein großes Glück, dass auch dort die Sache geklappt hat, so dass ich jetzt nicht nur Bilder malen konnte, sondern gleichzeitig Filme – auch mit entsprechender Musik – machen konnte. Gerade ist die Dokumentation als Buch in Vorbereitung.

Sprecher:   Nazca ist eine Stadt. Ist das auch das geografisch das Zentrum dieser vergangenen Nazca-Kultur?

FRANEK:      Das ist der einzige Ort in der Wüste, von dem man aus diese Zeichen in der Wüste erreichen kann. Das heißt, es ist ein gigantisches archäologisches Gebiet...

Sprecher:   ... Südlich von Lima?

FRANEK:      350 Kilometer südlich von Lima in der Wüste gelegen. Und es gibt eine Stadt, die früher einen Oasencharakter hatte, außerhalb dieser Zeichen, aber man kann praktisch nur von dort hineingelangen. Denn man sieht die Zeichen nur vom Flugzeug aus. In Nazca gibt es die Möglichkeit eine kleine Cessna zu mieten, über die Zeichen zu fliegen. Hinzukommt, dass dort seit vielen Jahren eine deutsche Forscherin lebt, seit fast 40 Jahren: die Mathematikerin Maria Reiche. Sie war gleichsam auch Anziehungspunkt und  Schlüsselfigur für mich, etwas über die Erdzeichen zu erfahren.

Sprecher:   Maria Reiche ist ja auch in ihren Bildern verewigt worden, fotografiert und hinein collagiert. Aber von den ganzen Zeichen und Linien, die für diese Nazcakultur prägend waren, da ist vor allem die Spirale. Können Sie dazu vielleicht noch kurz etwas sagen?

FRANEK:      Ja, die Spirale ist auch ein archetypisches europäisches Zeichen und mich selbst hat es angezogen. Ich hatte das Glück, in der Nähe des archäologischen Gebietes, da wo man keinen Zutritt hat und eigentlich auch nicht hineingehen sollte, weitere Zeichen mit Hilfe von Einheimischen zu entdecken, unter anderem eine Spirale. Es gelang mir nach langen Gesprächen Maria Reiche zu gewinnen, diese Spirale mit mir, Walter Aue und einer Fotografin zu betreten und zu vermessen. Es war das größte Erlebnis mit dieser Forscherin ein wissenschaftliches Experiment zu machen, wobei das Ergebnis im Grunde offen blieb. Aber diese Ereignis ist wesentlich gewesen für die Weiterentwicklung meiner Arbeit. Denn ich habe einzelne Stadien dieser Vermessung im Film festgehalten und auch Fotos gemacht. Dieses Material, das ich wiederum als Fotokopie benutzte, hat sich als neuer Impuls, eine Erweiterung für meine Arbeit erwiesen.

Sprecher:   Die Ausstellung in der Galerie Forum Aktuelle Kunst in Friedenau hat den Titel „Nazca I. Bilder“. Es ist also an eine Fortsetzung gedacht. Sie hatten vorhin schon von einem Buch gesprochen. Wie lange waren sie insgesamt in Peru?

FRANEK:      Sechs Wochen.

Sprecher:   Sechs Wochen. Und Sie werden sicher noch einmal...

FRANEK:      Ja, das ist immer die Frage, ob man so etwas wiederholen kann. Ich hatte aufgrund des Stipendiums anfangs Lust bestimmte Dinge besser zu machen, weil auch technisch nicht alles so geklappt hatte. Aber inzwischen glaube ich, dass das Material und die Eindrücke eigentlich immer noch so stark sind, dass eine Wiederholung kaum nicht nötig sein wird.

Sprecher:   Leider müssen wir jetzt hier aufhören, wir könnten noch sehr lange über die Nazcakultur reden. Wenn Sie sich selbst einen Eindruck vermitteln wollen, meine Damen und Herren, die Ausstellung in der Galerie Forum Aktuelle Kunst in Friedenau in der Saarstrasse 7 ist noch bis zum 10. Dezember geöffnet und Mittwoch bis Sonntag von 15 bis 19 Uhr zugänglich.