Harald Kimpel Verführung

Kimpel, Harald (Hg.): In: Hamlet Syndrom: Schädelstätten , Kat., 2011 Jonas Verlag Marburg ISBN 978-3-89445-454-8

Harald Kimpel

Verführung

Alle Theorien des Fantastischen basieren auf der Beobachtung, dass der Horror am üppigsten im Gewöhnlichen gedeiht. Das Vertraute als die Basis des Unheimlichen, das Idyll als die Brutstätte des Bedrohlichen – diese fatale Dimension unter der Oberfläche des Gefälligen sondiert auch die Berliner Künstlerin FRANEK in ihrer 2009/10 entstandenen Werkserie der „Wallpaper Paintings“. Die paradiesischen Gefilde floralen Tapetendekors bilden die exotische Folie eines albtraumhaften Geschehens, dessen mehrdeutige Konstellationen die Konventionen des Wandschmucks schockartig unterlaufen. Das gängige Medium gepflegter Häuslichkeit muss das Einschleusen eines gefährdeten und gefährdenden Personals verkraften: den Einbruch des Bedrohlichen in die Gefilde des Hortus conclusus, signalisiert auch durch den Kontrast der teils schrillen Farbigkeit in der vorgefertigten Tapete mit dem auf Schwarz-Weiß reduzierten Personal, die „ganz spröde, garstige Malerei“ (FRANEK) der dynamischen Figurenwelt mit dem schematischen Rapport der industrielle gefertigten Ornamentstruktur. „Kinderspiele-paradiesisch“, so der gemeinsame Titel jener Rollbilder, in denen die Malerin doppelbödige Szenerien im Zusammenspiel von Industrieprodukt und individueller Gestaltung entwirft.

###p[i] das Gleichmaß der Ordnungsstruktur im All-Over-Ornament irritieren. Es ist das Spiel mit dem Tod, das als harmloser Zeitvertreib in die gefälligen Muster exotischer Kulissen eingewoben ist. „It’s so funny“, wenn das Kind in einem beschwingten Totentanz sein endloses Spiel treibt. Doch den unschuldigen Kinderspielen á la Breughel ist alles Heitere ausgetrieben, wenn der von der Peitsche getriebene Kreisel sich als Totenschädel entpuppt. Der Tod vermag das Kind aus seinem Paradies nicht zu vertreiben; er wird akzeptiert als Spielkamerad. Beim spielerischen Umgang mit dem Entsetzlichen wirken die über die waagerechten Linien hinwegtanzenden Schädel wie die Notation zu einem lustigen Reigen. Forsch zwingt das Kind, das mit dem knöchernen Spielzeug vor der exakten Geometrie des Hintergrunds fröhlich aus der Reihe tanzt, den Schädel zu Kapriolen, verführt ihn zu allerlei Pirouetten und Sprüngen, peitscht ihn gnadenlos an, dass ihm das Grinsen vergehe.

Doch das hält sich beharrlich: auch in einem weiteren scheinparadiesischen Kinderspiel (Nr. 15), bei dem sich ein undeutliches Bedrohungsszenario entrollt, während das Kind, unbekümmert um die obskure Gestalt in der Nähe, dem Schädel die Zügel anlegt. Der Tod und das Mädchen – Verführung des Todes und durch den Tod: Die 13-jährige Schülerin Clara Federshausen findet Worte, wofür FRANEK Bilder erfunden hat: „Sie saß auf einem Stuhl, war klein, jung und unschuldig. Neben ihr saß ein Mann, vielleicht Mitte 20, vielleicht auch älter. Oder jünger. Sie war acht. Sie wusste nicht, wer es war, vielleicht ein Bekannter, ein Freund, sogar der schlimmste Feind aller Feinde hätte es sein können, es war ihr egal.

Sie war nur gefesselt von dem Totenkopf unter ihrem Stuhl, er war so nah, so greifbar.

Er sah sie an, sie spielte ein bisschen mit ihm.

Hinter ihr tanzte irgendwas oder bewegte sich nur einfach hektisch und schnell, sie wusste es nicht, es war auch völlig egal, sie nahm alles nur noch so halb aus dem Augenwinkel wahr. Nur der Tod, nur der Kopf.

Dann packte der Mann ihre Hand.“

[i] Catherine Nichols im Gespräch mit FRANEK. In: Kat. „FRANEK : PLOTPOINTS“. Städtische Kunstsammlungen Schloß Salder 20010. S. 19-31

Kimpel, Harald (Hg.): In: Hamlet Syndrom: Schädelstätten , Kat., 2011 Jonas Verlag Marburg ISBN 978-3-89445-454-8

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