The Spirits of Vanishing Animals. Die Rote Liste

Der Geist schwindender Tiere

Alraune 1 (Wiedehopf)
Wiedehopf
Alraune 2 (Haubenlertche)
Haubenlerche

Der Geist schwindender Tiere


Radegast, ein pittoreskes Elbmarschdorf mit knapp 400 Einwohner*innen. In dieser beschaulichen Idylle mit Backsteinhöfen, dem Fluss und Wild und Vögeln hat sich die Künstlerin vor 40 Jahren ein Refugium mitten in der Natur geschaffen. Das Grundstück ist mit Bäumen und Sträuchern bestanden, durch die großen Glasscheiben des Ateliers blickt man auf die weite, flache Landschaft.

In diesem „Paradies“ hat sich FRANEK die Präsenz der Natur ihre Verbundenheit mit und ihre Aufmerksamkeit für Fauna und Flora vertieft. FRANEK, ein im „Ruhrpott“ aufgewachsenes Stadtkind und seit 65 Jahren Großstädterin, Berlinerin, brachte - wie Kindheitszeichnungen belegen – eine Affinität zu nicht-menschlichen Wesen. Begegnungen mit Tieren wie beispielsweise Kojoten in den Amerikas in den 1980er Jahren hinterließen einen starken Eindruck bei ihr wie auch die Grenzüberschreitungen zwischen Tier und Mensch und Pflanze in Ritualen und Mythen verschiedener Kulturen, besonders bei Indigenen, Native Americans, im Alten Ägypten. Viele Werke vergangener Dekaden spiegeln diese Stoffe und die Auseinandersetzung damit und ihre Anverwandlung wider.

In den letzten Jahren entstanden Malereien von Vögeln in kleinen, mittleren und großen Formaten. In der ihr eigenen großzügigen und raschen Malweise, aus der die jahrzehntelange Praxis spricht, stellte FRANEK diese in ihrer Eigenart dar, sei es ein farbenprächtiges Gefieder wie beim Wiedehopf, sei es ein auffallend langer Schnabel wie beim Brachvogel, Charakteristika, die sich im Laufe der Evolution entwickelten und in ihrer phantastischen Vielfalt und hinreißenden bis absonderlichen Schönheit Staunen machen und verzaubern. Eine Reihe von Bildern zeigen die Vögel in Kommunikation und in Interaktionen mit Mischwesen aus Mensch und Pflanze. Die Künstlerin, die sich in Radegast die volkstümliche europäische Sagenwelt erschloss, bezeichnet diese Fabelgeschöpfe als Alraunen. Wegen ihrer anthropomorphen Wurzel und ihrer psychoaktiven Substanzen wurde diese Pflanze mit magischen Vorstellungen verwoben und als rätselhafte, koboldartige Kreatur gesehen.

Die Verflechtung von Mensch und Pflanze speist sich einerseits aus vergangenen und gegenwärtigen Mythen und spirituellen Anschauungen und andererseits weist sie in eine Zukunft, in der – wie von Donna Haraway entworfen - die Grenzen zwischen Menschen und anderen Arten durchlässig werden.[i] In der Konstellation mit den Vögeln visualisiert FRANEK in märchenhaft-poetischer Weise die Neupositionierung des Menschen innerhalb des komplexen Gefüges anderer Lebewesen, die Konnektivität, Symbiose, Sympoiesis, für die in Wissenschaft und Philosophie neben Haraway in ihrem jeweiligen Forschungsgebiet etwa Bruno Latour, James Lovelock und Lynn Margulis stehen; letztere schrieb in ihrem inspirierenden Band „Der symbiotische Planet. Wie die Evolution wirklich verlief“: „Die Ähnlichkeiten zwischen dem Menschen und / anderen Lebensformen sind viel auffälliger als die Unterschiede. Unsere engen Verbindungen aus gewaltigen erdgeschichtlichen Zeiträumen sollten in uns nicht Widerwillen, sondern Ehrfurcht wecken.“[ii] Neben den Naturwissenschaften vermitteln indigene Gemeinschaften andere Wissenssysteme von Flora, Fauna und Mensch, die im Anthropozän eine neue Aufmerksamkeit gewinnen.

The Spirits of Vanishing Animals ist ein Hymnus an die Natur und mehr noch ein Requiem. Davon künden schlichte Schiefertafeln, deren Form an Grabsteine gemahnt. Sie tragen feine Zeichnungen von Vögeln der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature and Natural Ressources und dazu handschriftliche Kurzinformationen über ihre Ausrottung bzw. ihren Gefährdungsstatus.[iii] Hauptursachen des Artensterbens sind Lebensraumkonkurrenz, invasive Arten, Wilderei, Umweltverschmutzung, Klimawandel. Den Säugetieren widmete FRANEK einen Zyklus, für den sie ältere Radierungen zum Thema Vergänglichkeit als Malunterlage verwendete. Das ruinöse Mauerwerk und die liegende Tote siedeln die Tiere in einer untergegangenen Kultur oder dem Untergang geweihten Umgebung an. Die Bildvorlagen dafür reichen von digitalen Aufnahmen aus dem Internet über alte Fotografien und Grafiken bis hin zu Aufnahmen aus Naturkundemuseen.

Die Werkgruppe insgesamt lässt sich als eine Synthese von naturkundlicher, künstlerischer und erzählerischer Betrachtungs- und Darstellungsweise beschreiben. Es ist ein work in progress, eine Fortschreibung ungeheurer Verluste. Werden am Ende des sechsten und durch den Menschen verursachten Massenaussterbens nur die seit 3500 Millionen Jahren existierenden Bakterien überleben?[iv]

Brigitte Hausmann


[i] Donna J. Haraway, Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt am Main 2018
[ii] Lynn Margulis, Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief, Frankfurt/Main 2017, S. 10f.
[iii] https://www.iucnredlist.org/
[iv] Vgl. Ulrich Kutschera, Wie scheitern Gewinner? Beispiele aus der Evolutionsgeschichte, in: Struggle for Life. Artenwandel und Artensterben im Anthropozän, Ausst.-Kat., ERES-Stiftung, Heidelberg: Kehrer 2008, S. 105
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The spirits of vanishing animals (rote Liste) 11
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