Vampir im Rücken
K A P international GmbH, Berlin, 2005
Seiten: 68,
Eröffnungsrede vom 17. Oktober 2004 zur Ausstellung
FRANEK. Vampir im Rücken
Festsaal des Museums Junge Kunst in Frankfurt (Oder)
Anregend für das Schaffen von bildenden Künstlern sind immer wieder der Dialog mit Werken von Malern und Bildhauern der eigenen oder vergangner Zeiten, ebenso wie die optischen Besonderheiten fremder Kulturen aber auch Sprachbilder der Literatur. Hier bildet FRANEK durchaus keine Ausnahme. Auch sie fand in diesen drei Bereichen Affinitäten zum eigenen Wollen.
„…Der Vampir im Rücken übt den Kinderschritt,
und ich hör ihn atmen, wenn er kreuzweis tritt….
Ist das Mal gerissen in die Nackenhaut,
öffnen sich die Türen grün und ohne Laut.
Und die Wiesenschwelle glänzt von meinem Blut.
Deck mir, Nacht, die Augen mit dem Narrenhut.“
Meine Damen und Herren, das waren 3 von 10 Versen des Gedichts „Heimweg“ von Ingeborg Bachmann. Eine der Verszeilen „Vampir im Rücken übt den Kinderschritt“ wählte FRANEK als übergreifendes Thema für den Zyklus ihrer 12 großformatigen Bilder, von denen hier 9 zu sehen sind. Der poetische Zauber der Sprache dieses Gedichtes, das zugleich die Besonderheit der Lyrik von Ingeborg Bachmann deutlich erkennbar werden lässt, forderte die Malerin geradezu heraus, parallel hierzu zu gestalten. Diese Gemeinsamkeit zwischen Sprachbild und Bildsprache wird aber auch darüber hinausgehend im gesamten Werk der beiden Künstlerinnen erkennbar. So erschafft die Malerin vergleichbar mit der Lyrikerin Welten, in denen Reales und Irreales spielerisch miteinander verwoben sind. „Menschen, Tiere, Pflanzen, Mineralien- die Elemente- das Universum“, wie es FRANEK zusammenfassend benennt, treten uns auf ihren Bildern und Zeichnungen ebenso entgegen, wie in den Versen von Bachmann. Bei beiden sind diese weder zeit- noch ortsgebunden, assoziieren paradiesische Zustände, die bei näherem Hinsehen und -hören in ambivalenter Nähe zu den Abgründen der Hölle angesiedelt sind und vielleicht gerade deshalb den Sprach- wie den Bildraum mit schwebend unwirklicher Leichtigkeit erfüllen.
Während sich die Lyrik von Ingeborg Bachmann losgelöst von Zeit und Raum darbietet, hat auch auf den Bildern und Zeichnungen von FRANEK das ordnende Gefüge wie Oben und Unten, Vorder- und Hintergrund die Bedeutung ebenso verloren, wie der Mensch seine Schwerkraft. So ist es letztlich die Ganzheit des Seins, die hier von uns optisch bzw. akustisch nachzuvollziehen ist. Spielt in der Malerei die Farbe eine Haupt- und die Linie eine Nebenrolle, so ist es in der Zeichnung ausschließlich die Linie, die die Aussagekraft der jeweiligen Werke bestimmt. Sie umschreibt den Gegenstand auf Leinwand und Papier, doch zugleich wird durch das ständige unterbrechen des Strichs, das Verstärken oder Zurücknehmen seiner Kraft, verbunden mit der Reduktion von Details erreicht, dass die flächige Gestaltung in Malerei wie Zeichnung zugleich räumlich erscheint und materielles und immaterielles Sein sich symbiotisch miteinander verbinden. Nicht zuletzt sind es diese Dualismen, die die Künstlerin wie die Schriftstellerin sowohl als Traditionalistin als auch als Avantgardistin ausweisen. So findet in ihrem Werk ein permanenter Wechsel zwischen einer gewohnten Rhythmik und ungewohnten Assoziationen statt. Zugleich wählen sie Motive, die uns vertraut sind und schaffen überraschende Bilder, nutzen einen überlieferten Formenapparat und drücken damit unser heutiges Lebensgefühl aus, das in permanenter Ambivalenz zwischen Urvertrauen und Angst vor Untergang und Tod angesiedelt bleibt.
5 Arbeiten des 2004 entstandenen Zyklus tragen den Untertitel „Der Schlaf der Vernunft“. Sie denken jetzt zu Recht an Francisco de Goyas Capricho 43 von 1797/98, dessen vollständiger Titel lautet: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Unter dem Bild wurde von Goya auf das Blatt geschrieben: „Der träumende Autor. Seine einzige Absicht ist es, schädliche Gemeinplätze zu verbannen und mit diesem Werk der Caprichos das Bleibende Zeugnis der Wahrheit abzulegen.“ Mögen diese brillant formulierten Satiren Goyas im Unterschied zu den Bildern von FRANEK vor allem auch inhaltlich als Zeitkritik zu werten sein, weist dennoch nicht allein die Themenwahl auf Gemeinsamkeiten im Wollen der beiden Künstler hin. So kann man Goyas Gestaltungscredo, das er in folgende Worte fasste, zugleich auch auf das Werk von FRANEK beziehen: „Ich persönlich sehe nur beleuchtete und unbeleuchtete Formen, Flächen, die nach vorn kommen, und Flächen die zurück weichen, Höhe und Tiefe. …In der Natur gibt es weder Farbe noch Linie- nur Licht und Schatten. Jede Malerei ist eine Sache des Verzichts und der Entscheidung.“
Prof. Dr. Brigitte Rieger- Jähner
Direktorin des Museums