Beate Reese Aus der Perspektive der „Kriegskindergeneration“
In: Jahrbuch 2016, Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
Erstmals 2015 in Mülheim zu sehen war das Werk der in Mülheim aufgewachsenen Malerin und Zeichnerin FRANEK. Unter dem Titel „FRANEK. als die Soldaten Schäfer waren“ stellte das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr ergänzend zur Ausstellung „Befreite Moderne“ neue Arbeiten vor. Sie führen in eine Zeit, in der Kinder mit Wiegen- und Schlafliedern über Krieg und Bomben und die abwesenden Väter hinweggetröstet wurden.
FRANEK, mit bürgerlichem Namen Sabine Franek-Koch, reflektiert rückblickend aus der Perspektive der sogenannten Kriegskindergeneration ihre Kinder- und Jugendjahre in Mülheim an der Ruhr: Am 1. September 1939 in Potsdam sozusagen in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren, ist sie als Flüchtlingskind mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in das Ruhrgebiet gekommen: Ein den politischen Verhältnissen geschuldetes Kinderschicksal, das sie mit vielen anderen teilte. Wie viele Kinder ihrer Generation wuchs sie ohne Vater auf. Sehnsüchtig erwartet, kehrte er 1955 als Spätheimkehrer aus Krieg und Gefangenschaft zurück. Er blieb ihr fremd. Auf einer Tafel ist der kleine Bruder zart und zerbrechlich mit seiner Schultüte vor der mächtigen Industriekulisse des Ruhrgebiets dargestellt. In Mülheim besuchte sie die Luisenschule, und hier entstand auch der Wunsch, Künstlerin zu werden. Nach ihrem Abitur in Mülheim wechselte sie nach Berlin. An der Hochschule der Künste in Berlin begann sie ihre Studien bei jenen Künstlern der sogenannten „ersten Stunde“: bei dem Nachkriegssurrealisten Mac Zimmermann und dem informellen Maler Fred Thieler. Von besonderem Einfluss war Fred Thieler, dessen großformatige Farbarbeiten eine neue malerische Freiheit verkörperten und auch FRANEK neue Möglichkeiten gerade auch im großen Format eröffneten. Franek lebt und arbeitet seit über fünfzig Jahren in Berlin. Daneben entstehen Arbeiten auch in ihrem Atelierhaus in Radegast an der Elbe. Für die Künstlerin hat sich in Mülheim an der Ruhr besonders Eleonore Güllenstern, damals noch Vorsitzende des Kunstvereins, eingesetzt. Auf ihre Initiative hin wurde zusammen mit der ehemaligen Leiterin des Museums, Karin Stempel, in den 1980er-Jahren ein über vier Meter breites Gemälde von FRANEK für die Sammlung des Kunstmuseums erworben. Es dauerte weitere dreißig Jahre bis zu dieser ersten Ausstellung im Kunstmuseum.
Kriegsberichte und Flüchtlingsströme lösten bei FRANEK den Impuls aus, sich den inneren Bildern aus Kindheit und Jugend sowie der eigenen Bildvergangenheit erneut zu stellen. Der schöpferische Prozess der Erinnerungsarbeit brachte Bilder hervor, die weit über die eigenen Erfahrungen hinausgreifen: Assoziationsketten werden freigesetzt, die nicht nur für die Generation der im Krieg Geborenen Signalkraft haben.
Zu ihrem Lese- und Künstlerinnenbuch „als die Soldaten Schäfer waren“, in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung erschienen, sind in den letzten Jahren Arbeiten entstanden, in denen FRANEK den Einfluss der Kindheitserlebnisse auf ihr Werk untersucht. Schicht für Schicht legt sie Erinnerungen frei und verschränkt sie so, dass Realität und Fiktion miteinander verschmelzen. Entstanden sind kleinformatige Bilder auf Fermacell-Platten, die zwischen Malerei und Zeichnung changieren. Sie erzählen von dem Ausgeliefertsein eines heranwachsenden Mädchens an eine Welt, die sich als bedrohlich und zerstörerisch erweist. Dabei schafft sie über einzelne Motive immer wieder traumhafte Bezüge zu den weltweiten Kriegssituationen und Flüchtlingsströmen der Gegenwart. So blicken auf einer Tafel drei mit Burkas bekleidete Frauen in ein Zimmer, in dem ein Kind in Anlehnung an die Geschichte von „Paulinchen“ im Struwwelpeter zündelt. Jedem Bild hat die Künstlerin eine kleine Geschichte als eine Art Subtext beigegeben. Als Dokumente und persönliche Erinnerungsstücke sind das Tagebuch der noch jungen FRANEK, Briefe an den Vater, Presseberichte über seine Rückkehr sowie Kleidungsstücke, die das Mädchen auf der Flucht von Potsdam nach Mülheim getragen hat, ausgestellt. Diese Fundstücke haben FRANEK immer wieder zu assoziativen Bildmotiven angeregt. Damit eröffnen sich die Bildzusammenhänge auf eine ganz eigene Weise. Neben ihren Bildern waren ihre persönlichen Bildspeicher, die „Wunderkammern“, zu sehen: Bricolagen auf Holz. Figuren aus Radierungen der 1960er- und 1970er-Jahre, frühe Zeichnungen, Textfragmente, iPhone-Zeichnungen, gravierte Spiegel und diverse Fundstücke sind zu assoziativen Collagen auf schwarz grundierten Tafeln zusammengefügt.