Lothar Romain „zwischenraumzeit“ - Bilder einer Ausstellung

Catalogue Bergeversetzen (Movingmountains), Heidelberger Kunstverein 2002

Arbeiten auf Papier sind für FRANEK nicht vergleichbar eines künstleri­schen Nebenerwerbs, sondern bilden einen eigenen Werkteil innerhalb ihrer Bildwelten. Schon früh haben sie einzelne thematische Serien ebenso angeregt wie schließlich als äußerste Reduktion ausklingen lassen, was auf den großen Leinwänden als Weltbilder sich darstellt. Von der Kohlezeichnung bis zur Misch­technik weisen die Papierarbeiten vielfältige Zeichen- und Malmate­ria­lien, Tech­niken und Bildentwürfe auf. Lange Zeit waren sie, wie auch die Lein­wän­de, als Zyklen thematisch definiert (z.B. „Heisterbusch“, 1988, oder „Ein­fangen­deswindes“, 1998), seit Mitte der 90er Jahre gibt es darüber hinaus auch eine neue Gemeinsamkeit formaler Fragen, der verwendeten Materialien z.B., der spezifischen Frage nach Linie und Fläche, auch solche der bevorzugten Farben (siehe „mural-paintings“, 1994-1996). Für den gesamten Werk­kom­plex der Papierarbeiten aber gilt gleichermaßen, daß die Künstlerin hier eine Luzidität der Farbgebung oder Liniensetzung erreicht, die der Wirklichkeitsform der großen Leinwände wie eine Möglichkeitsform gegenüberstehen: offen im Aus­blick, fertig und zugleich doch immer auch Entwurf, ein farbiges Schatten­reich zwischen erlebter und visionierter Welt oder lineare Geburten aus mythi­schen Urgründen.Die Roman­ti­k hatte schon eine Ahnung davon, daß solche Einheit womöglich nur noch als Schein, als Vision in der Kunst zu erreichen sei. In diesem Sinne und mit Wurzeln in deren Weltverständnis ist FRANEK eine späte Nach­fahrin der Frühromantiker, gefiltert durch die Erfahrungen eines ganzen Jahr­hunderts der Moderne, mit einem anderen Zu­gang zu den alten Mythen und ihren Wandlungen durch die Aufbereitung derselben von Strukturalisten wie Claude Lévi-Strauss, aber noch immer beheimatet in einem Kosmos, in dem der Mensch nicht allein dominiert, wie Joachim Sartorius einmal zur Arbeit von FRANEK geschrieben hat: „Er ist ein Teil des Kosmos, gleichberechtigt mit der Natur, mit dem Himmel. Er kann Hirte sein oder Behüter, wenn das Tier nicht stärker ist als er.“ (In: Katalog Franek, Ringplanet, Galerie Winkelmann, 1993)

So wird bildlich das Wesen eines mythischen Zusammenhanges von allem mit allem formuliert, daß weder das Dingliche aufhebt noch das Undingliche ver­ding­licht oder sich unfaßbar ins Grenzenlose ausdehnen läßt. Die Bildwelten von FRANEK siedeln in der „zwischenraumzeit“: die sich informell aus­wölkende Farbe verdunstet weder einfach im Raum noch verschwappt sie zur alles verschlingenden Ursuppe. Sie bildet freie Formen aus, die gleich den Fi­guren sich eine eigene Identität und einen eigenen Platz im Bildgeschehen er­halten. Doch diese erscheinen nicht fest gefügt, sortiert, absolut gesetzt, sondern als Momente in einem Prozess stetiger, unmerklicher Verwandlung begriffen. Man kann nicht bestimmen, was hier Werden oder Vergehen darstellt, was in dem zerdehnten Augenblick Vergangenheit oder Zukunft in sich trägt. Alles ist zwischen Raum und Zeit, die Figuren eingeschlossen, die Urbilder in sich tragen und als Vision an eine nicht beschreibbare Zukunft weitergeben.

Das gilt, ob sie nun von flächenfüllender, nicht deckender Farbigkeit sind oder gar Naturmaterialien einbeziehen – für alle Bilder von FRANEK. 1991, auf der Farm in Nordkalifornien, hatte sie auf Grund einer Fehlinformation nur we­nig Malmittel und -werkzeug mit und vor Ort kaum Möglichkeiten, sich entspre­chend auszurüsten. So wurde denn auf langen Wanderungen durch die urwüch­sige, kaum erschlossene Landschaft die Natur selbst zum Reservoir: Gräser, Moose, Vogelfedern, verkohlte Rinde und der Adobe-Lehm wurden neben Öl­kreide als Bildmaterialien erwählt. Die so auf der Ranch entstandene Reihe sind Bildgeburten aus und in Landschaft, materialgerecht, ohne die Materialien über­zu­bewerten oder gar zu fetischisieren. Sie verkünden keine Naturbildreligion, keinen Animismus, obwohl sie Assoziationen daran nicht unterdrücken. Himmel und Erde, die Sonne, die den schwarzen Abdruck eines Menschenkopfes, einge­fangen von den ebenfalls schwarzen Abdrücken seiner Hände und Füße, be­scheint, der Coyote, so zusätzlich auch noch als Begriffe im Bild ausgewiesen, der auf seinem Pfad trottet wie auf einer Bogenlinie, die über den Horizont hi­n­ausführen mag – landschaftliche Vorgaben und innere Bilder schieben sich hier ineinander, häufig auf rissigem, braunem Lehmgrund aufgebracht oder mit eher offenem, skizzierenden Farbstrich konturiert. Sie sind niedergeschrieben glei­chermaßen als Erinnerung wie als Entwurf einer Landschaft und in ihrer kruden Offenheit ein eindringliches, lange im Gedächtnis bleibendes Szenarium zwi­schen realer Natur, die im Bild zum Zeichen sich verwandelt, und Bildzeichen, das zu eigener Natur wird – fern jedenfalls allen Suchens nach reinem Abbild und ebenso fern davon, in Sublimierungen aufheben zu wollen, was an Urwüch­sigem sich mit Mythischem überlagert.

 S. M. I. P.  XXIX
 S. M. I. P.  XXVI

„Das Material von FRANEK“, so hat Joachim Sartorius dazu geschrieben, „ist aber nicht nur das auf Reisen und Wanderungen in der Nahwelt Gesammeltes, es ist auch das auf Lesereisen durch die Schöpfungsgeschichten Gefundenes.“ Die Bilder sind für ihn allesamt „kleine Kosmogenien“. Davon zeugen nicht nur Begriffe oder gar Texte, die in den Bildern der Künstlerin im­mer wieder einmal auftauchen und den Zeichen beigeordnet sind, so Wort und Dingzeichen, Geist und Körper bzw. Materie als zwei elementare Kategorien unseres Weltbegrei­fens und seiner Darstellung zusammenführend, sondern auch allgemein die bildliche Übersetzung dieses als Ganzes verstandenen Beziehungsgeflechtes unterschiedlicher Daseinsformen.

Was für „Alaska“ festgestellt wurde, gilt für das Ganze: die Bilder von FRANEK heben die gewohnten Ordnungen auf, die mit oben und unten, hinten und vorne, nah und fern zu beschreiben wären. Weder gibt es in diesem Sinne eine hierar­chische Orientierung, die Haupt- und Neben­rollen verteilt, noch eine ablesbare Genealogie, die das eine aus dem anderen sich entwickeln oder hervortreten läßt. Als Mythologie ist die Vorge­schichte einerseits als eine durch Überlie­ferung wie durch Zeichen sich ständig erneuern­de Gegenwärtigkeit dargestellt wie andererseits die gegenwärtige Natur in den Auswölkungen oder dem Fließen der Farbe sich als Moment eines Prozesses offenbart. Aus diesem Zusammen­spiel erhalten die Bilder eine Urlogik vor aller rationalen Folgerichtigkeit, e­winnt das Ephemere Dauer und offenbart die schein­bare Dauerhaftigkeit der Zeichen ihre Gründung in Geschichten und im Zeitenfluß. Die diaphanen Fi­guren und Tiergestalten, die mit wenigen Strichen in die Farbe hineinge­schrie­benen Naturformationen, die glyphenähnlichen Zeichen und die in Spiegel­schrift geschriebenen Wörter bilden zusammen den poe­tischen Kosmos einer Welterzählung, die keine Erzählfolge kennt, sondern Ge­schichten in einem Zentrum der Gleichzeitigkeit sammelt. Von hier aus mö­gen sie den Betrachter zu vielfältigen Assoziationen anregen, doch würde er versu­chen, einzelne Fäden aufzugreifen und fortzuspinnen, dann erführe er bald, wie sich das Ganze in Einzelheiten auflöst; denn nur in dem geglückten Moment des Zusammenspiels von allem im Bild wird der mögliche Kosmos sichtbar, der verloren geht, sobald man auszugliedern versucht. FRANEKs Bilder und Zeichnungen beschwören keine heile, auch keine nur heitere Welt; denn sie verschweigen nicht die Widerstände und auch Gegensätze, die sich in den Über­­la­gerungen von Natur und Kultur auftun. Das Erleben von Natur z.B. ist kein durchweg friedvolles, beglückendes, sondern mit Gefah­ren verbunden, wie sich in einigen bedrohlichen Farbszenarien darstellt. Und wo oben und unten, vorn und hinten, nah und fern als Orientierung fehlen, da kann man sich leicht verirren und das Schweben, wie es den Figuren oft zu eigen ist, bedeutet Verlust von Bodenhaftung samt der damit gegebenen Sicherheit. Und schließlich: wo Mensch und Tier im gleichen mythischen Kosmos leben, da ha­ben Individualismus und daraus entwickelte Überlegenheit keinen Raum mehr. Diese Bilder sind bis in ihre malerische Gestalt nicht auf Harmonie, wohl aber auf Ausgleich der unterschiedlichen Daseinsformen, die sie zusammenbringen, bedacht – ein Ausgleich durch Reduktionen, wie oben beschrieben, die allen ein Stück Individualität und Einzigartigkeit zugunsten des Urbildlichen, Typischen nimmt. Man könnte ihre Moral, wenn dieser Begriff erlaubt sei, auch mit dem von ihr geschätzten Claude Lévi-Strauss so beschreiben: „In einem Jahrhundert, wo der Mensch auf die Zerstörung von unzähligen Lebensformen versessen ist“, wird es notwendig, festzustellen, wie es in den Mythen geschieht, „daß ein wohlangewandter Humanismus nicht von sich aus entstehen kann, sondern daß er die Welt dem Leben, das Leben dem Menschen und die Achtung vor anderen dem Egoismus voranstellen muß.“ (Tristes Tropiques) Es bleibt Hoffnung, so­lan­ge wir dafür noch Bilder haben.

Zeitsprung