Die Berliner Malerin Sabine FRANEK-Koch

Rainer Höynck am 25.03.1987 in RIAS BERLIN

Höynck:     Die Sahara und Südamerika und die Großmutter in Büchner’s Woyzeck und der Künstlerbund. Wir sprechen mit Sabine FRANEK-Koch, der Berliner Malerin.   

                    Wo fangen wir an? Fangen wir doch mit dem Jüngsten an: eine Ausstellungseröffnung in Bremen, in der Galerie von Frau Waller, die aus zwei Teilen besteht. Arbeiten der letzten Jahre in der eigentlichen Galerie und dann, im Park in einer Liegehalle, die „Geisterbilder“. Vielleicht wollen wir erst einmal beschreiben, wie das räumlich zu verstehen ist: man geht, wie auch die Vernissagengäste in der Dämmerung ein paar Schritte herüber zu dieser Liegehalle, die vielleicht früher einmal einem Krankenhaus gedient hat?

FRANEK:    Diese Liegehallen gehörten früher zu einer Lungenheilanstalt, die aber heute nicht mehr im Betrieb ist. Das heißt, es ist ein langgestrecktes Gebäude mit einzelnen Parzellen, in denen früher die Kranken lagen, und wo ich die Wände gestaltet habe.

Höynck:     Man hätte vielleicht auch – Sie haben auch daran gedacht – eine Installation machen können, den Raum mehr einbeziehen, sich dann aber doch für die Wand entschlossen, dann aber auch keine Leinwände aufgehängt, weil das, im Gegensatz zu der Galerie, die ihre Öffnungszeiten hat, in einem öffentlich zugänglichen Park liegt. Das heißt, jeder kann da rein, und man muss es nicht bewachen, denn diese Arbeiten sind jetzt eine Art Graffiti mit Hilfe von Schablonen sozusagen fest an der Wand, und die kann keiner mitnehmen.

FRANEK:    Ich habe mich dazu entschlossen mit Schablonen zu arbeiten, da ich meine Bilder normalerweise auf dem Boden male, und mit dieser Technik wäre die Farbe die Wand runtergelaufen. Eine Installation habe ich deswegen nicht gemacht, weil es nicht möglich ist, diese Hallen Tag und Nacht zu bewachen, sie sind wirklich jedem Spaziergänger zugänglich. Außerdem hat es mich sehr gereizt, einmal eine Art Repertoire von Figurationen aus meinen Bildern herauszuziehen. Normalerweise entstehen die Figurationen in meinen Bildern während des Malprozesses; das heißt, sie nehmen Gestalt an im Malvorgang. In diesem Fall habe ich jetzt die aus dem Malvorgang hervorgegangenen Figuren in fixiert. Ich habe sie auf Karton gebracht und dann ausgeschnitten.

Höynck:     Man sieht in einem sehr schönen, querformatigen Katalog Abschnitt für Abschnitt diese Bilder – dazwischen sind in der Wirklichkeit wohl kleine Mauervorsprünge. Das Querformat hat sich da angeboten, weil man sieht auf dem Titelbild ja auch dieses langgezogene Gebäude, was extrem breitwandig ist. Dann fällt auf die durchgehend rote Farbe, das ist die Farbe der Ziegel. Darauf haben Sie Schablonen aufgelegt, über die Schablonen hinweggespritzt, die Schablonen entfernt, so dass die eigentlichen Umrisse umgeben waren von den weißen Umrissen, die von dem Sprühnebel herrührten. Dadurch arbeiten sich die einzelnen Elemente sehr klar hervor. Wenn man die so beschreiben würde, würde das vielleicht zu simpel klingen: also man sieht Tiere, man sieht Menschen und Masken, man sieht Chiffren. Das ist aber keineswegs so eins zu eins übersetzt, wie das Kinder machen würden, sondern sie sind aus einem sehr großen Zusammenhang gerissen, sowohl was die Zeiten als auch was die Orte anbelangt. Und jetzt kommen wir zu Mexiko: auch in dieser Zeit, als sie sich mit Indianerkulturen beschäftigt haben, sind ja auch hervorgegangen die Bilder, die aus sehr vielen Chiffren bestanden, aus solchen Zeichen – primitiv ist ja ein ganz falsches Wort – aber sie sind doch zum Teil sehr ursprünglich; sie könnten aus mitteleuropäischen Felsmalereien sein, aber dann auch wieder aus Indianerkulturen.

FRANEK:    Also diese Bilder,  die ich aus den Schablonen collagenhaft entwickelt habe, sind für mich sehr aktuelle Bilder. Es sind nicht nur formale oder auch figurative Momente aus alten Kulturen dargestellt, sondern man findet da auch eine Schreibmaschine oder ein Telefon, einen Fotoapparat, eine Glühbirne, also alles Dinge, die für uns heute doch lebenswichtig sind, die uns umgeben. Ich habe also festgestellt, als ich die Schablonen anfertigte, dass für mich sowohl die Dinge, die ich jetzt mit „Geister“ bezeichnen möchte – Geister sind für mich im Grunde innere Bilder – als auch die realen Gegenstände zusammen eine Wirklichkeit bilden.

Höynck:     Von dieser Ausstellung also im Haus Lesmona in Bremen von Frau Waller gibt es den Katalog. Was es noch nicht gibt, was die Arbeiten betreffen ist das „Kreuz des Südens“, und jetzt kommen wir zu Marokko, zur Sahara. Normalerweise ist es ja bei einem Künstler nicht so, dass er eine Reise macht und schon –schwupp – wertet er die Reise aus und es schlägt sich in den nächsten Arbeiten nieder. So könnte ich mir vorstellen, dass die Erinnerung, die Erlebnisse in der Sahara, die Bilder, die Eindrücke erst in späteren Arbeitsphasen in Kunst übergehen, oder könnte man auch sagen, dass auch diese Geisterbilder, die ja danach entstanden sind, schon Sahara-Erlebnisse mit einbezogen worden?

FRANEK:    Zum einen kann ich das bestätigen. Die Geisterbilder haben Momente und Figurationen in sich, die aus dem afrikanischen Raum gekommen sind, die mich beeindruckt haben, zum Beispiel kommen sehr häufig Hände vor. Ich habe meine eigenen Hände von einer Berberin bemalen lassen, und ich habe ein ganz neues Bewusstsein zu meinen Händen bekommen und gespürt, wie wichtig sie sind, denn während dieses Bemalungsvorganges musste ich meine Hände drei Stunden still weglegen. Innerhalb der Bilder gibt es sehr viele Hände und Dinge, die mit Be-greifen zu tun haben. Zum „Kreuz des Südens“ ist zu sagen: es war eine Reise, die etwas anders abgelaufen ist, als meine sonstigen Reisen. Sonst habe ich Dinge notiert, recherchiert und dann später daraus in Berlin neue Arbeiten geschaffen. In diesem Fall habe ich es ganz anders gemacht. Ich habe Tagebuch geführt und jeden Tag meine Eindrücke mit ein oder zwei Farbstiftzeichnungen gefüllt - niedergeschrieben, so dass ein ganzes Buch mit fast 200 Zeichnungen entstanden ist, ein Tagebuch in Bildern.

Höynck:     Und das wird in dieser Publikation so wiedergegeben oder nur eine Auswahl davon?

FRANEK:    Wir bemühen uns im Augenblick, das möglichst authentisch wiederzugeben. Es gibt einige Notizen, die textmäßig eingearbeitet werden, aber im Grunde genommen besteht das ganze Buch aus einer Bilderschrift.

Höynck:     Was hat das Kreuz des Südens so wichtig gemacht, dass es den Titel abgab und damit eine Art Grundelement ist, so wie die Geisterzeichen? Das Kreuz des Südens kann doch nicht nur das Sternbild gemeint sein, oder?

FRANEK:    Ich glaube schon. Das Sternbild ist ja auch ein Zeichen für eine Zielvorstellung. Es birgt eine Zielvorstellung in sich. Bei den Nomaden zum Beispiel, bei denen ich auch eine Woche gelebt habe. Sie wandern ja nach dem Kreuz des Südens, es bedeutet für sie auch immer Nahrung, Wasser. Es ist ihr Leitstern, der sie führt. Das Kreuz des Südens hat für sie also auch eine ganz existentielle Bedeutung.

Höynck:     Wie bereitet man eine solche Reise vor? Das kann man natürlich nicht so machen, dass man an Ort und Stelle zur Reiseleitung eines Touristikunternehmens geht und sagt: “Ich möcht’ mal mit zu den Nomaden!“. Wie haben Sie diese Kontakte hergestellt?

FRANEK:    Ich muss zugeben, ich hab das diesmal gar nicht so gut geplant. Ich habe mir ein Auto gemietet und bin dann Richtung Wüste gefahren, also ganz  weg von den Städten, nur in die Oasendörfer. Und ich hatte dort das Glück die Kinder einer 17köpfigen Familie kennenzulernen. Ein Sohn dieser Familie wurde mir dann mitgegeben, um mit den Nomaden Kontakt aufzunehmen. Das heißt, die Mutter kam aus diesem Nomadenstamm, so dass es eine ganz natürliche Verbindung gab. Ich wurde als Gast aufgenommen und auch sehr gastfreundlich behandelt. Ich muss dazu sagen, dass es den Nomaden sehr schlecht geht. Es ist also nicht diese romantische Idylle, die man sich so erträumt, und die auch ich mir teilweise wohl erträumt habe, weil ich mir  vorstellte, dass sie nachts vor ihren Zelten sitzen, und da sie noch keine Fernseher haben, erzählen sie ihren Kindern Geschichten. Das tun sie zwar auch noch, aber sie sind doch in einer sehr armseligen Verfassung. Das heißt es fehlt wirklich an den einfachsten Dingen. Mein Geschenk an die Nomaden war also Wasser und Tee. Das wurde sehr von ihnen geschätzt.

Höynck:     Bei dem Stichwort Geschichtenerzählen fällt mir ein, dass wir das anfangs gegebene Stichwort der Großmutter in Woyzeck noch gar nicht aufgegriffen haben. Das machen wir aber jetzt: „Es war einmal ein arm Kind und hat kein Vater und keine Mutter, war alles tot und war niemand mehr auf der Welt.“ Und vielleicht lesen Sie die letzten beiden Zeilen?

FRANEK:    Ich glaube, ganz wichtig sind die Zeilen, wo die Dinge sich verwandeln: „Und wie es endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul’ Holz. Und da ist es zur Sonn’ gegangen, und wie es zur Sonn’ kam, war’s ein verwelkt Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldene Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt.“

Höynck:     Im hessischen Dialekt, in dem ja Büchner geschrieben hat, so wird man es selten auf der Bühne erleben. Aber wie sind Sie darauf gekommen diesen Text quasi als Motto dem Katalog der Geisterbilder voranzusetzen?

FRANEK:    Im Grunde ist mir dieser Text zugefallen. Ich könnte dazu jetzt eine Geschichte erzählen, aber es ist vielleicht wichtiger zu begründen, warum ich diesen Text meinen Arbeiten zugeordnet habe. Der Unterschied zwischen den wirklichen Dingen, also die Dinge die wir sehen und greifen können... Ich muss das nochmal neu formulieren: es geht um den Schein und das Sein. Einerseits der Mond, der gar kein Mond ist, sondern ein Stück faules Holz, und andererseits die Sonne, die keine ist. Und das ist so etwas, was ich für meine Bilder in Anspruch nehmen möchte, dass die Wirklichkeit sich nicht nur aus dem Sichtbaren ergibt, sondern auch aus dem, was dahinter liegt, aus dem Unsichtbaren.

Höynck:     Eine schöne Metapher für den Schritt vom Abbild zum Sinnbild, der ja das Wesen Ihrer künstlerischen Arbeit ausmacht. Ich möchte zum Schluss nur noch auf einen Gegensatz kommen: die Mythen und Hieroglyphen einerseits und die Schreibmaschine andererseits. Auch ein Künstler heute ist ja kein Mensch, der ständig seinen Visionen nachgeht und zurückziehen kann ins Atelier. Da gibt es private Sorgen, da gibt es bei Ihnen zum Beispiel auch die Arbeit als Vorstandsmitglied des Deutschen Künstlerbundes. Zur Zeit ist ja die Ausstellung in Bremen, wo auch eine Arbeit von Ihnen hängt. Und so wird man immer wieder hin und her gerissen zwischen den Verpflichtungen des Tages und dem Bedürfnis, diesen Eindrücken nachzugehen. Ich kann mir vorstellen, gerade nach Marokko, nach der Sahara ist das Bedürfnis groß, möglichst viel davon und möglichst bald oder – das frage ich an dieser Stelle - längerfristig umzusetzen in Malerei?

FRANEK:    Soweit ich denken kann, ist mein Leben eigentlich so bestimmt, dass es immer zwischen diesen Gegensätzen der normalen, alltäglichen Pflicht und praktischen Arbeit und der Arbeit im Atelier geprägt ist. Das hat natürlich Nachteile. Das hat aber vielleicht auch den Vorteil, dass ich immer dann, wenn ich mich ganz meiner Arbeit widme das mit ganz großer Intensität tun kann. Andererseits stelle ich immer wieder fest, dass das Leben und die Arbeit gar nicht zu trennen sind. Denn das, was mich im Alltäglichen manchmal von der künstlerischen Arbeit fern hält, das schlägt sich dann auch wieder positiv in der späteren Arbeit nieder.

Höynck:     Von außen gesehen stellt man immer zwei ganz gegensätzliche Forderungen an einen Künstler: zum einen soll er ein Egomane sein, ganz wild darauf versessen, die Zeit für sich zu erkämpfen, damit das Ergebnis seiner künstlerischen Arbeit außerordentlich ist. Andererseits soll er sein Menschsein mit gesellschaftspolitischer Verantwortung, der seine Funktion in den Verbänden ausübt, der etwas tut für die Kollegen, etwas tut für die Entwicklung der Kunst, eine kulturpolitische Meinung hat und äußert. Vielleicht ist dieser Gegensatz nicht aufzulösen. Vielleicht muss es noch möglichst viele Künstler geben so wie Sie, und es gibt eine ganze Reihe von Beispielen gerade auch aus dem Deutschen Künstlerbund und den Gewerkschaften, die eben versuchen mit Herzblut und Kraftaufwand beides zu vereinen: das Außerordentliche, das Wegtauchen in eine höhere Wirklichkeit, die man dem Betrachtern der Bilder vermittelt. Und andererseits das Verwurzelt-sein, das Eingebunden-sein in die Zeit, in der wir leben.

FRANEK:    Für mich ist es manchmal sogar ganz gut, weil ich in meiner Arbeit dazu neige, mich sehr stark mit spirituellen Dingen auseinanderzusetzen oder mich damit zu beschäftigen, und es gibt da auch eine gewisse romantische Attitüde. In diesen Gremiengeschichten werde ich ganz hart mit der Wirklichkeit konfrontiert, auch mit den Nöten einzelner Kollegen.  Das sehe ich an sich sehr positiv, gerade die wechselseitige Wirkung dieser beiden verschiedenen Ebenen.

Höynck:     Jetzt frage ich zum Schluss nur noch mal nach dem nächsten Reiseziel. Mittelamerika und die Sahara...gibt es noch einen Ort, von dem sie sich etwas versprechen, Eindrücke, Anregungen?

FRANEK:    Es gibt immer Sehnsüchte bei mir, irgendwo hin zu fahren, Dinge zu sehen, Dinge neu zu erleben. Aber im Augenblick ist es sehr wichtig, dass ich die Reise in meine eigene innere Welt antrete und mich etwas zurückziehe und einfach da bin und das mache, ganz ohne Anspruch und ganz ohne große Reiseziele, einfach das, was im Augenblick bei mir anliegt.

Höynck:     Danke.

Sprecher: Ein aktuelles Kurzportrait der Berliner Malerin Sabine Franek-Koch

                         Die Redaktion der Sendung hatte heute Hilge Schleger.