Claudia Henne Ein Porträt der Berliner Malerin Sabine FRANEK

SFB Redaktion: Werner Rhode 1988

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Franek : Tachismus ist im Grunde nur die Maltechnik. Das heißt, ich bediene mich einer Maltechnik, die von einem informellen Grund ausgeht, einem fleckenartigen, erst mal hingeworfenem Malgrund, der mich assoziativ stimuliert, etwas daraus zu entwickeln. Das heißt aber nicht, dass ich jemals Tachistin gewesen bin.

Henne:  Mir ist bei Ihren Bildern das sofort in den Sinn gekommen, diese Frage: Wie arbeiten Sie?

Franek:  Die Arbeitsform, die Arbeitsweise hat natürlich etwas mit dem Tachismus zu tun. Ich habe studiert bei einem Maler, der ein informeller Maler ist, bei Fred Thieler, und habe mir diese Technik angeeignet. Ich arbeite zum großen Teil aus dem Malfluss. Das heißt, ich gieße die Farbe, aber ich nehme auch Quaste und Pinsel zu Hilfe, um die Farbe dann auf die Leinwand zu schleudern. Das kann man sehr gezielt tun, das heißt, dass man natürlich den Zufall zu Hilfe nimmt, ihn aber dann doch auch in der Hand hat, um eine ganz bestimmte Atmosphäre in den Bildern zu schaffen.

Henne:  Sie haben Schwarz-Weiß als Farben gewählt. Und Schwarz-Weiß gelten ja eigentlich nicht als Farben. Warum haben Sie sich gerade dafür entschieden?

Franek:  Das ist teilweise ein ganz pragmatisches Problem, dass man, je mehr man sich in der Farbigkeit einschränkt, desto einfacher ist es, zu einer Lösung zu kommen. Hinzu kommt, dass ich sehr gerne von dunklen Gründen ausgehe. Ich arbeite anfangs meistens mit einem fließenden Schwarz, wobei dadurch auch Helligkeiten, Dunkelheiten, Strukturen und Formationen bereits entstehen, die mich anregen, daraus ganz bestimmte erfahrene oder auch erlebte, vielleicht auch imaginäre Figuren zu formen. Wenn ich dann die weiße Farbe hinzunehme, nehmen diese Figuren immer mehr Gestalt an, so entsteht im Malprozess das Bild.

Henne:  Was mich überrascht hat an diesen Bildern ist: Der schwarze Grund bleibt dominant. Auch wenn weiß drauf ist, und es gibt ja ‘ne Menge differenzierte Töne dann, es ist ja nicht nur schwarz-weiß, sondern es gibt Grautöne verschiedenster Schattierung, und trotzdem haben die Bilder nichts Tristes, sie haben keine Untergangsstimmung, sie haben nichts Trauriges.

Franek:  Ja, aber sie haben vielleicht etwas Nächtliches. Und nächtlich muss ja nicht unbedingt traurig sein. Nächtlich ist etwas Geheimnisvolles. Etwas, wo bei mir auch sehr viele Dinge in Gang kommen. Und da viele – gerade auch die schwarzweißen Bilder – in der Nacht gemalt werden, glaube ich, dass sie auch etwas von dieser Stimmung vermitteln.

Henne:  Warme, weiche Blau-, Gelb- und Rottöne leuchten im hinteren Teil der Ausstellung: „Die Verwandlung“, ein vierteiliges, auf gewellte Pappen gemaltes Bild, zeigt eine zauberhafte, magische Beziehung von Mensch und Tier, Wesen und Universum, in die das uralte Symbol der Spirale eingearbeitet ist. Tiere spielen eine zentrale Rolle im gemalten Universum dieser Künstlerin. Die genau herausgearbeiteten Eigentümlichkeiten der Schlange, des Adlers, der Schweine, Wölfe und Störche verraten, dass Sabine FRANEK Tiere gut kennt.

Franek:  Ja, ich betreibe Naturstudien, das heißt, ich beobachte Tiere. Ich kenne allerdings auch Tiere aus ganz anderen Zusammenhängen. Zum Beispiel aus frühen Begegnungen mit alten Kulturen, aus meiner Kindheit; ich kenne auch viele Tiere – gerade auch Vögel – aus ornithologischen Fachbüchern, weil es mich einfach  interessiert, diese Dinge zu studieren und sie auch kennenzulernen. Das alles fließt in den Malprozess mit ein. Es sind also die vorgestellten Tiere, die beobachteten Tiere und teilweise auch die erfundenen Tiere, die ich darstelle.

Henne:  Sie sagen alte Kulturen: Sie sind viel gereist.  Sie waren in Mexiko, Guatemala, Honduras, in Peru, Sie haben viele alte Kulturen studiert. Gibt es etwas Wesentliches, eine Grundübereinstimmung ?

Franek:  Studiert ist etwas übertrieben. Ich habe mich dort aufgehalten und habe mich auch der Faszination dieser geheimnisvollen Kulturen gestellt. Ich habe mich damit auch beschäftigt und auseinandergesetzt. Aber das, was mich vielleicht am meisten fasziniert hat, ist nicht das Fremde, sondern das Ähnliche. In den verschiedenen Kulturen habe ich in mir Dinge gefunden, die ich dort erkannt habe und auch dort Dinge gefunden, die ich in mir entdeckt habe. Das heißt, das Gemeinsame und das, was man vielleicht sogar wissenschaftlich nachweisen kann: es gibt ganz bestimmte elementare Dinge im Menschen überall auf der Erde. Es gibt über die ganze Welt verstreut in verschiedenen Kulturen, zu verschiedenen Zeiten sehr ähnliche Darstellungen von Tieren und sehr ähnliche Darstellungen von Menschen. Und das finde ich jetzt nachträglich als Quintessenz eine sehr wichtige Erkenntnis.

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HENNE: Von ihren Reisen brachte FRANEK Abreibungen mit. Sie hat die authentischen Zeichen der Maya und Inka Kultur sozusagen mit Papier und Stift durchgepaust. Auch von ihrer letzten, weiten Reise – sie war zur Jahreswende 1987/88 in China  - brachte sie Abreibungen mit; Steinabreibungen. Die 55 kleinen Blätter, die in einem separaten Raum aufgehängt wurden, lesen sich wie ein Reisetagebuch. Dschunken, Drachen, Fahrräder, Pferde, Wasserträger.. Alles, was der Fremden in diesem fernen Land so fremd vorkam, hat sie mit Tusche und Pinsel auf die chinesischen Vorlagen gemalt.

FRANEK:  In China hat man das Steinabreibungsverfahren schon seit tausenden von Jahren benutzt, als Vervielfältigungsverfahren. Die Abreibungen, die ich zum Beispiel im indianischen Kulturbereich gemacht habe, das waren Abreibungen an bestimmten Felsen, in ganz abgelegenen Gegenden, wo Indianer oder prähistorischen Menschen ihre Zeichen hinterlassen haben. Im Gegensatz dazu haben die Chinesen das Steinabreibungsverfahren als Informationsmaterial benutzt. Sie haben also wichtige Schriften, philosophische Schriften zum Beispiel, sehr früh schon in Steine gepunzt und geritzt und geschlagen und haben dann mit Hilfe von Farbe und Papier diese Ritzungen vervielfältigt. Im Grunde genommen eine Form von ganz früher Druckkunst. Ich wiederum habe mir das zunutze gemacht; ich habe dort nicht selber Steine abrieben, was wahrscheinlich auch gar nicht erlaubt gewesen wäre, sondern man kann Steinabreibungen dort kaufen. Das heißt, es gibt Mönche, es gibt Leute, die diese alten Steine abreiben und sie heute als Bücher wieder verkaufen. Ich selbst habe so ein Buch erworben für sehr wenig Geld und habe es dann überarbeitet. Das heißt, ich habe praktisch täglich eine Seite  übermalt, so dass die alte Schrift noch erhalten blieb, und mein Eindruck jedes Tages dort festgehalten wurde, ein Reisetagebuch.

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HENNE:  Sehen Sie sich als Kosmopolitin?

FRANEK: Ja, würde ich schon sagen. Ich bin sehr viel in der Welt herumgereist. Mein Standort ist Berlin, und da fühle ich mich auch sehr wohl. Berlin hat eine gewisse Anonymität, die ich sehr schätze. Insofern hat es für mich nie so etwas wie Heimat gegeben. Es ist eigenartig: hier an der Elbe, wo alles sehr...ja ich möchte sagen, sehr abgelegen, einsam, merkwürdig,- zwischen Zonenrand und Ende der Welt - in der in der Schwebe ist, da kommt manchmal so ein Gefühl auf: so eine Art Heimatgefühl, aber wahrscheinlich Heimat auch im Sinne von Niemandsland.

HENNE: Das Niemandsland an der Elbe lernte Sabine FRANEK 1984 kennen, als sie ein Arbeitsstipendium des Landes Niedersachsen bekam und in Schloss Bleckede lebte. Die weite, flache Landschaft, der klare Himmel, die Stille und Abgeschiedenheit haben es ihr angetan und sie ergriff das Angebot, eine ausgebaute Scheune als Atelier zu beziehen. Nach Radegast zieht sie sich zum Arbeiten zurück, und als wir uns dort trafen, der Wind ums Haus zog, das Feuer im Kamin prasselte, konnten wir ohne falsche Mystifikation von der Anziehungskraft dieses alten Flusses sprechen, vom Bild der Arche Noah, und ich wusste, woher die Störche, Lämmer, Schiffe und Weiden auf ihren Bildern stammen. Die Einsamkeit bedrückt sie nicht. Sie muss allein sein, um Tage und Nächte durch zu malen. Sie braucht diese Intensität. Erkennungsflüge sind anstrengend und kraftraubend. Woher nimmt sie die Energie? Wie hat sie die vielen Jahre durchgehalten, trotz Mutter- und Familienpflichten, trotz Geldsorgen?

Franek  Tja, das ist eine gute Frage, aber die habe ich mir selbst auch noch nicht beantwortet. Zumindest ist die Energie da und ich habe auch nicht das Gefühl, dass die nachlässt. Im Gegenteil, je mehr ich das jetzt in den letzten Jahren so ausschließlich tue, je intensiver kann ich das auch machen. Und ich glaube auch, dass das Ergebnis irgendwo auch noch konzentrierter wird. Ich fühl’ mich eigentlich ganz gut so.

Sabine Franek Koch, portraitiert von Claudia Henne. Die Ausstellung Erkennungsflüge im Neuen Berliner Kunstverein, Kurfürstendamm 58 dauert noch bis 30. April, der Katalog kostet 15 Mark.