Rainer Höynck Unterwegs auf der Suche nach sich selbst

Rias Berlin 14.09.1984

Sprecherin: 22Uhr, hier ist RIAS 2. In der Reihe  „Ideen, Kontroverse, Kritik“ hören Sie eine Sendung von Rainer Höynck „Unterwegs auf der Suche nach sich selbst“.

HÖYNCK:   Dieser Titel des Portraits einer Berlinerin könnte auch für manch anderen, kreativen Menschen zutreffen. Wir meinen aber eine ganz bestimmte, eine professionelle Künstlerin. Sabine Franek-Koch, in Potsdam geboren, an der Ruhr aufgewachsen, hat an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin studiert und dann an der Schule unterrichtet. Was ihr Leben veränderte und ihre Arbeit wichtig machte, waren Erlebnisse auf Reisen und Werke, die aus Begegnungen mit anderen Kulturen entstanden. Die Glyphen in der Bildsprache des Mayakalenderssystems in Mexiko, die Erdzeichen in Nazca, Peru, vor anderthalb Jahrtausenden, die Rituale der Lakota-Indianer im heutigen Nordamerika. Das alles hat eine Entwicklung geprägt, die gewiss in diese Richtung weitergehen wird. Wenn gerade in diesen Wochen die Nachricht von 87 bisher unbekannten eingefurchten Erdzeichen in Peru bekannt wurde, entdeckt vom Flugzeug aus, so ist das ein reiner Zufall – wir hatten das Portrait von Sabine Franek-Koch seit Längerem geplant. Innerhalb einer Reihe von Sendungen über Künstler, für die Recherchen in der Realität kennzeichnend sind und Beschäftigungen mit Manifestationen, mit Vergangenem oder Gegenwärtigem, die sich dann aber nicht mit Vorzeigen oder Hinweisen begnügen, sondern Spurensicherung von Gegenständen und vor allem von Nachwirkungen in der eigenen Person unternehmen. Ein einmal gefundener Sammelbegriff oder Obertitel erwies sich diesmal als nicht passend: „Kunst im Kopf“ – das hatte zwar genau zugetroffen auf Koichi Ono, den Roland Wiegenstein vorstellte;  das galt für Künstler aus  Walter Aues Konzeptkunstreihe aus dem Künstlerhaus Bethanien; das wird zum Teil zutreffen auf Raffael Rheinsberg, dem einer der nächsten Beiträge gewidmet ist; bei Sabine Franek-Koch wollten wir das Motto als unzutreffend schon zurückziehen, aber unser Gespräch im Wilmersdorfer Atelier begann dann doch mit dem Nachdenken über das Verhältnis zwischen Ratio und.. tja, und was? Ein Gegensatzpaar bietet sich  da nicht schlüssig an: Emotionen, Ursprünglichkeit, Spontaneität, Subjektivität, das Dynamische, das Dionysische... Das alles wäre zu unscharf. Wie gut, dass sich Kunst verbal nicht so auf den Punkt bringen lässt.

FRANEK:      Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Spaltung zwischen Rationalem, Intellektuellem und Emotionalem, Sinnlichen der Einheit des Menschen widerspricht und damit auch der Einheit des Kunstwerks. Also während meines Arbeitsprozesses werden so viele Kräfte mobilisiert, die teilweise rational sind, teilweise intuitiv oder auch visionär. Es gibt Chaos, es gibt Ordnung, es gibt Zufälle, auf die man reagiert und die man versucht zu steuern, so dass für mich die Kunst im Menschen als Totalität begründet ist. Als Totalität von Intuition und Rationalität.

Höynck:     Trotzdem kam dann irgendwann einmal, oder ganz konkret vor der Mexikoreise, das Bedürfnis zu recherchieren. Der Künstler vielleicht als Wissenschaftler oder jedenfalls als Feldforscher. Sie haben Entdeckungen gemacht, Sie haben Tagebuch geführt und Sie haben im allerersten Moment am Abend ja nicht gleich gedacht: „Wie kann ich das in eine Zeichnung oder ein Bild umsetzen?“, sondern wollten doch erst einmal Menschen kennenlernen, die an bestimmten Orten leben, vielleicht auch in anderen Kulturen?

FRANEK:    Meine Arbeit ist ein Entwicklungsprozess, so sehe ich das, und da gibt es oder gab es – verschiedene Stationen, eine davon war Mexiko. Mexiko war für mich der Einstieg in etwas Neues, aber gleichzeitig auch Abnabelung von der europäischen Tradition, um etwas Neues zu finden, neue Ansätze zu entdecken. Da habe ich versucht aus dem sinnlichen Erlebnis dieser Kultstätten, besonders der Mayakultstätten, Informationen zu bekommen. Ich habe mich mit diesen Informationen auseinandergesetzt, ich habe so eine Art Aneignungsprozess durchgemacht. Die Aneignung einer fremden Kultur mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen, ihrem Stellenwert- und Zahlensystemen, ihren astronomischen Berechnungen. Das war für mich ein Einstieg. Das war eine Art Recherche, ein Einstieg in eine neue Arbeitsweise. Der eigentliche Arbeitsprozess setzte dann später ein.

HÖYNCK:   Also zu Hause wieder im Atelier?

FRANEK:    Ja, in Berlin.

HÖYNCK:   Wir haben in der Kommunalen Galerie damals eine Reihe von Bildern gesehen und da fiel  auf – im Gegensatz zu früheren Arbeiten von Ihnen –, dass da sehr viele Chiffren, sehr viele Zeichen waren. Dass also einige Bilder regelrecht zusammengesetzt waren aus solchen Chiffren. Dass sich dann aber wieder etwas Neues ergab, nämlich nicht eine Addition des Vorhandenen, sondern neue Bildkompositionen. Und, wie soll man sagen...? Ein Zusammenwachsen und ein Komponieren aus früheren Eindrücken, früheren Zeichnungen, früheren Kulturen mit dem Neu gefundenen. Es war also sozusagen die Summe von Mexiko, Maya und von Europa vorher?

FRANEK:    Die Beschäftigung speziell mit den Mayaglyphen war für mich der Einstieg in eine Zeichenrecherche. Ich fand diese Glyphen vor, und ich wagte es nicht, sie einfach als Bildkürzel einfließen zu lassen in meine Arbeit, sondern ich versuchte, etwas über sie zu erfahren. Von da aus bin ich dann auf andere Zeichen gekommen, auf Zeichen, die wir in Europa haben oder auch in Indien. Ich habe mich damals mit den Urzeichen der Menschheit beschäftigt, ich habe sie selbst vor Ort teilweise abgenommen, ich habe natürlich auch Informationen aus Büchern hinzugefügt. Aus den Bildzitaten, die ich anfangs benutzt habe, sind später eine eigene Zeichensprache und Bilderschrift entstanden. So würde ich es heute sehen. Es war natürlich ein langer Prozess. Es fing an mit Zitaten, dann kamen eigenschöpferischen Zeichen, die aber auch wiederum archetypisch im Menschen begründet sind, die ich wahrscheinlich auch irgendwo gesehen hatte und heute bin ich zu dem Punkt gekommen, wo die Zeichen ganz allein aus mir selbst heraus entstehen.

HÖYNCK:   1981 dann Peru, das war eine Begegnung mit einer bestimmten Person, mit Maria Reiche, die sehr wichtig wurde. Das war vielleicht noch mehr Recherche, Erkundung eines Ortes, Erkundung einer Vergangenheit. Jetzt muss ich mal dazwischen den Namen Däniken einfließen lassen, nur um mal den Abstand anzudeuten zwischen einer Sensationsreportage und zwischen einer wilden Spekulation, äußerst unseriös und dem was Sie gemacht haben und zwar sich wirklich einmal hineinzudenken in eine Landschaft, in diese Zeichen.

FRANEK:    Für mich waren die Informationen von Maria Reiche maßgeblicher als die von Herrn Däniken.  Sie arbeitet seit 40 Jahren in diesem Gebiet, sie ist Wissenschaftlerin, Mathematikerin und hat teilweise diese Zeichen freigelegt, sie hat sie vermessen und bis heute zusammengetragen. Ich hatte das Glück 1981 mit ihr zusammen eine Spirale zu vermessen. Eine Spirale, die ich selbst entdeckt hatte, mit Hilfe von Einheimischen. So konnte ich sie darauf aufmerksam machen und sie dafür interessieren, weil sie das Einheitsmaß der Nazca, was sie meinte herausgefunden zu haben, jetzt versuchen konnte anhand dieser neu von mir entdeckten Spirale auszuprobieren -  beziehungsweise zu beweisen, dass es auch hier zutrifft.

(Einblendung der Tonspur des Filmes „In den Zeichen 1“)

HÖYNCK:   Im Film sieht es so aus wie ein kleines Happening, wie eine Performance, dieses Abschreiten der Spirale. Vielleicht war das ja ein Element, was ganz wichtig ist, nicht nur um das später im Dokument vorweisen zu können, sondern vielleicht war auch die Bewegung,  dieses Abschreiten, dieses Nacherleben mit dem eigenen Körper etwas Wichtiges?

FRANEK:    Für mich war das Abschreiten der Spirale in Nazca der Höhepunkt meiner Recherche. Ich konnte zum ersten Mal meinen Körper selbst einsetzen. Es gab schon vorher die Idee, mich in einer gigantischen Zeichnung zu bewegen, meinen Körper in ein Zeichen einzubringen. Das heißt, das Zeichen als Choreographie zu benutzen und somit in ein Zeichen einzugehen. Für mich war das so eine Art Metapher und Höhepunkt meiner Arbeit.

Sprecher:   Maria Reiche hat in einem Vortrag die Geometrie der Erdzeichen erläutert:

                        „Eine Sache, die mich besonders interessiert, weil ich von Beruf nicht Archäologin bin, sondern Mathematiklehrerin, das ist, wie diese Leute das Problem gelöst haben, diese riesigen Figuren, die sie vom Boden aus nicht erkennen konnten – weder ihre Richtung noch ihre Ausmaße – doch so auf den Boden zeichnen konnten, dass sie von der Luft aus diese wunderschönen Ausmaße und Proportionen haben. Die Maßeinheit ist wahrscheinlich vom menschlichen Körper abgeleitet: ungefähr 1,60 Meter oder 1,70 Meter, die Hälfte davon, etwa 80cm, ist ein Schritt. Von Ellbogen zu Ellbogen sind es ungefähr 80cm, etwas mehr oder einen Schritt. Die Hälfte ist der ägyptische Kubit oder Elle, etwa 40cm oder etwas weniger manchmal.“

Sprecher:   Detelf Noack, früher Präsident der Hochschule der Künste Berlin, schrieb im Katalog der Nazcaarbeiten, den der Kunstfonds Bonn unterstützte, unter dem Titel „In den Zeichen“:

Die Kunstgeschichte beweist, dass auch die Innovation dem Wandel der Vorstellungswelt unterworfen ist und dass die Arbeit der Zeitgenossen in diesem Renascimento auf langer Tradition fußt. Selbst wenn nur die präkolumbischen Kulturen der Andenländer zitiert werden, lassen sich dazu illustre Namen nennen: zum Beispiel Gaugin, der als Kind eine Zeitlang in Lima lebte. Er griff die antropomorphe Kopfkeramik der Moche-Kultur auf und modellierte Krüge im gleichen Stil; einen davon als Selbstportrait – was die Bedeutung des Vorbilds im Werk des Künstlers unterstreicht. Oder Viktor Brauner, er komponierte Fabelwesen nach Manta-Textilien aus den Nekropolen der Paracas-Halbinsel; das Mystische im Totenkult die gewaltabwehrende Geister war für diesen Surrealisten der Anstoss zur eigenen Produktivität. Jean Dubuffet, er schuf Bilder mit tastbarer wie Ton gebrannter Oberfläche in der Art der Quimbaya-Idole aus dem Hochland von Kolumbien; ihn begeisterte vor allem die Form, die Struktur und das poröse Material dieser dreiecksförmigen Figuren. Franek-Koch steht damit in einer illustren Künstlerreihe, nur dass ihre Anregungen und Motive aus dem Geist und der Vorstellungswelt ihrer Generation aufgespürt sind. Und das ist eine Generation in neuer Existenzangst.  Es ist die gleiche Angst (wenn auch die Vorzeichen andere sind), die die Nazca-Menschen vor 1500 Jahren hatten.“ (Peru, Ende Juli 1982)

Sprecher:   Ruth Falazik, in deren Bochumer Galerie Franek-Koch 1965 ihre erste Einzelausstellung hatte, beschreibt im Nazcabuch „In den Zeichen“ eine Begegnung im Atelier der Künstlerin. Am Schluss äußert sie ihre Verwunderung darüber, dass sie auf eine ganz spezielle Frage zum Nazcaprojekt zu hören bekam: „Das weiß ich nicht mehr. Das habe ich vergessen“.

                         „Wie kann man vergessen? Ich begreife: nicht das Sammeln und Sichern der ethnologischen Spuren allein ist das Wichtigste ihres Suchens – die Zeichen werden nur vorübergehend angeeignet –  und dienen doch mehr zur Stimulanz und Benutzung um Bilder zu malen, Bilder von heute. Die letzten Bilder  lassen die Themen der Projekte hinter sich. Unabhängig in ihrer Farbe und Form – mit schnellem, großzügigem Gestus –und das auch in den kleinen Blättern – entfalten sie nur noch von weitem Erinnerungen. Die Umsetzung hat stattgefunden.“

Sprecher:   Im Katalog einer Franek-Koch Ausstellung von 1982 im Märkischen Museum der Stadt Witten hat Wolfgang Zemter resümiert:  (14:20)

„Im gleichen Umfang, wie die Bildgenese assoziative und rationale Ebenen einschließt, öffnet sich das Bild dem Betrachter mehrdimensional. Franek-Koch gelingt es, tradierte Formenelemente nicht nur in einem neuen Zusammenhang zu sehen, sondern sich zugleich deren ursprünglichen Bedeutung anzunähern. Sie erweitert den Begriff der Rezeption eines Kunstwerkes um eine neue Dimension: Die Betrachterkongenialität bezieht sich nicht nur auf das Bild per se, sondern thematisiert im gleichen Ausmaß das historische Umfeld der von der Künstlerin in das Bild eingebrachte Bildzitate. In diesem Sinne vermittelt Franek-Koch dem Betrachter – unter Berücksichtigung verloren geglaubter Symbolinhalte – eine Bildwelt, in der das geistige Prinzip dem Malerischen verschwistert ist.“

Sprecher:   Nazca, das waren die alten Indianer in Peru. Indianer im Nordamerika von heute erlebte Sabine Franek-Koch in South Dakota während eines Studienaufenthaltes im letzten Jahr. Beauftragt vom Bremer Überseemuseum die Rituale in Skizzen festzuhalten. In ihrem Berliner Atelier sind einige der großformatigen Bilder zu sehen, die – nach abgeschlossener dokumentarischer Auftragsarbeit – nun als freie Malerei entstanden.

HÖYNCK:   Der Untergrund, vielleicht erst einmal das Wichtigste, ist keine Leinwand, kein Holz, kein Papier, sondern ist Pappe, aber keine gewöhnliche Pappe. Das heiß,t man sieht da nicht eine Leinwandstruktur, wie manchmal auf Bildern, sondern man sieht die kleinen Körnchen, wie sie auf Dachpappe aufgetragen sind.

FRANEK:    Ich habe Dachpappe gewählt, weil es ein dunkles Material ist, eine dunkle Struktur hat, und weil mir vorschwebte, schwarz-weiß Bilder zu machen, die Farbe einmal ganz wegzulassen. Meine Erlebnisse, wie z. B. das Schwitzhüttenritual, das Leben in einem Zelt – die Nächte, alles vom Dunkel geprägt.

HÖYNCK:   Im Hochformat sehen wir zwei Figuren. Bei einer Gestalt deutlich ein Federschmuck, die andere trägt ein Tier über dem Kopf, vorne noch zwei Tiere. Das Ganze etwas a-perspektivisch, so wie man sich auch Indiandermalerei vorstellt (es gibt in Deutschland den mißverstanenen Begriff der primitiven Malerei, dabei sind die Menschen doch weit weniger primitiv als wir Europäer), also etwas aus der Perspektive herausgerückt. Das hat doch etwas Archaisches. Dann entsteht der Eindruck, als ob mehrere Schichten übereinanderliegen. Die unterste Schicht schwarz, also praktisch das Grundmaterial, dann wie so eine Gitterstruktur in einer hellen, hellgrauen Farbe, die aber auch durchscheint. Und davor dann die Figuren. Wahrscheinlich ist es umgekehrt: wahrscheinlich sind erst die Figuren entstanden, dann ging der Hintergrund nicht ganz bis an den Rand, so dass man glaubt, man könnte noch hindurch, durch eine Struktur hindurchschauen. Das ist aber quasi wie ein räumlicher Eindruck. Ist das ganz klar kalkuliert, oder ist das ein Ergebnis, was beim Arbeiten entstanden ist?

FRANEK:      Ja, das ist beides. Ich weiß natürlich, wenn ich mit so einem Material umgehe, wie es reagiert. Und in dem Fall habe ich schwarz gesetzt. Schwarz auf schwarzem Grund, so entstehen eben auch verschiedene Schwarz. Und habe dann mit dem Weiß das Ganze überlasiert, übergegossen und dann aber, noch während die weiße Farbe noch nass war, die schwarze Figur wieder freigelegt, so dass also so eine Art Gitter, eine Struktur entsteht, die an etwas Visionäres erinnert.

HÖYNCK:   Es sind Figuren ablesbar, manchmal sieht man Profile, manchmal, wie gesagt die Tiergestalten, aber die Unwirklichkeit entsteht dadurch, dass die Figuren dann doch in den Umrissen verschwimmen, oder sich auflösen in diesem Weiß. Da die rechte Gestalt etwa trägt ein Tier über dem Kopf, man sieht den Tierkopf. Und dann kommt da etwas herunter, das sieht wiederum so aus als ob ein Tier dieser Gestalt in den Bauch beißen möchte. Also vielleicht auch so ein Angsterlebnis? Da links... Jetzt muss ich doch einmal fragen, obwohl man das bei Kunst nicht machen soll, was das bedeutet, aber die Gestalten regen das an...

FRANEK:    Ja... das ist auch für mich sehr schwierig, es genau sprachlich zu definieren, da meine Figuren oder auch die Tierformen mehr assoziativen Charakter haben. Also es ist nicht realistisch, und es ist auch nicht realistisch gemeint, sondern es entstehen Formen, die nur an Dinge und Wesen erinnern.

HÖYNCK:   Und das Material, um es nochmal zu sagen, große Pinselschwünge, man könnte von weitem an Kohlestift denken, es ist aber gemalt.

FRANEK:    Ja, das ist auch mit Kohle teilweise vorgezeichnet. Also die Kohle setzt sich gegen das andere Schwarz noch ab, es tauchen auch immer wieder graphische Momente auf, Linien mit weißer Schultafelkreide wie auch mit Kohle .

HÖYNCK:   Neben der Signatur und Jahreszahl „FRANEK 83/84“ steht noch ein Titel darauf. Aber da heißt es nun nicht „ bei den Lakota – Indianern“, und heißt es nicht „In South Dakota“, sondern da steht „For my own Caves“ und das ist vielleicht ganz wichtig, und damit kommen wir auch zum eigentlichen Thema dieser Sendung: die Wechselwirkung zwischen dem, was man in sich selbst und mit sich selbst erfährt und dem, was man an äußeren Erfahrung mit dazu trägt. Sie sind damit in ihre eigenen Tiefen eingedrungen, ins eigene Unbewusste, in die eigene Person und das ist genauso wichtig – oder noch wichtiger – als das dazu Gelernte und das dazu Gesehene.

FRANEK:    Ja, ich habe das Gefühl, dass ich jetzt wieder bei mir selbst angekommen bin. Ich habe sehr weite Wege gemacht, manchmal braucht man Umwege wahrscheinlich, um bei sich selbst anzukommen. Und dazu hat mir ganz stark dieses Erlebnis bei den Indianern in South Dakota verholfen.

HÖYNCK:   Manchmal denkt man an so einer Station zurück an die eigenen Anfänge. Ich erinnere mich – das war die Zeit als Sie noch Studienrätin in Berlin waren – an kleine Skizzen oder Aquarelle aus Formentera. Die waren ja eher freundliche Landschaftsbeschreibungen. Ich möchte beinahe sagen aus einer noch heil erlebten Welt. Ich erwähne das jetzt gerade, da man vielleicht überlegt, wohin man gekommen ist, und wie weit man gekommen ist in einem Jahrzehnt als Künstler. Wie könnte man den damaligen Punkt bezeichnen, wenn Sie jetzt sagen, es hat sich so ein Kreis vollendet?

FRANEK:    Das ist eine gute Frage, ich muss nur einen Augenblick nachdenken... Im Laufe der Jahre ist mir das Experiment wichtig geworden. Meine früheren Arbeiten waren zwar sehr ich selbst, aber verharrten in einer bestimmten Figürlichkeit. Meine Reisen und meine Auseinandersetzungen mit archaischen Motiven haben mich heute dahin gebracht, der Gefahr der Idylle zu entgehen.

HÖYNCK:   In so einem Moment ist der Künstler einem Tänzer viel näher als dem Alltagsmenschen, denn diese künstlerische Umsetzung von Wirklichkeit in weit tiefere Schichten entspricht ja vielleicht auch diesem Loslassen-Können, dieses vollkommene Einsetzen der ganzen Person, im Gegensatz zu dem nüchternen, harmonischen, geordnetem, und geregelten Ablauf des Alltags.

FRANEK:    Gelernt habe ich von den Indianern auf jeden Fall, meine Mitte nicht zu weit nach oben zu verlegen, so wie wir das normalerweise tun: wir haben den Kopf eher präsent als den Bauch. Für mich haben sich da manche Dinge eingestellt – auch vielleicht sogar im visionären Bereich–, die nur möglich sind, wenn man mal den Verstand beiseite lässt.

HÖYNCK:   Da können Sie ja vielleicht auch als ehemalige Lehrerin neue Argumente liefern für den leider teils vergeblichen Kampf gegen die Aufhebung des Kunstunterrichtes. Das bedeutet ja wieder ein bisschen mehr Kopf und Computer und bedeutet wieder ein bisschen weniger Kreativität und Ursprünglichkeit – etwas mit der Hand machen, mit den Sinnen machen. Das ist doch eine fatale Entwicklung in der Erziehung heute.

FRANEK:    Ja, das sehe ich auch so. Ich meine, gerade im Rahmen des Nützlichkeitsdenkens heute und der gesamten Rationalisierung ist es einfach  wichtig, dass Kinder mit den ganz einfachen kreativen Möglichkeiten vertraut gemacht werden.

Sprecher: Sabine Franek-Koch arbeitet derzeit in Norddeutschland; ein Stipendium hat sie nach Schloß Bleckede geführt.

FRANEK:  Es ist eigenartig, dass mich diese Elblandschaft sehr häufig an die Prärie erinnert – obwohl in der Prärie nur ganz wenig Wasser existiert. Aber es gibt dort auch sehr viel Natur, Landschaft, Tiere und es ist sehr still da, sehr einsam, so dass ich mich da ganz meinen Vorstellungen und meiner Arbeit widmen kann.

HÖYNCK:   Gibt es da auch alte Leute, die Ihnen erzählen?

Franek:       Ja, ich arbeite im Moment mit vier alten Männern zusammen. Einem 83jährigen ehemaligen Fährmann, mit einem Schützenkönig, einem alten Lehrer und einem Museumsdirektor, der dort in einer Lungenheilanstalt liegt...

HÖYNCK:   Wenn sie sagen „arbeiten“, heißt das, dass aus diesen Protokollen oder aus diesen Gesprächen soll etwas entstehen?

FRANEK:    Ja, die erzählen mir alte Spuk- und Geistergeschichten, die teilweise auch schamanistische Aspekte haben. Die notiere ich zur Zeit und mache dazu Zeichnungen.

Sprecher: Am Schluss der Sendung kehren wir zu den Maya zurück, weil diese Arbeitsphase für Sabine Franek-Koch mehr war, als eine abgeschlossene Etappe auf dem Weg zu ganz anderen Themen und Interessen, sondern der vielleicht wichtigste Schritt auf dem Weg zu einer neuen Arbeitsweise, die mit den Recherchen der versunkenen oder vergessenen Spuren, die Suche nach Quellen und Resultaten der eigenen künstlerischen Arbeit bedeutet. Und es heißt immer zu gleich  - wenn es um Kunst geht und nicht zugleich als unverbindliche Beschäftigung – die Suche nach der Kreativität des ganzen Menschen; nach – wenn das jetzt nicht zu geschwollen klingt – dem Sinn des Lebens.

FRANEK:    Ich glaube, im Moment bin ich an dem Punkt, wo das alles sehr zusammenfließt. Ich habe große neue Bilder gemalt, habe trotzdem nebenbei Abreibungen gemacht und höre mir außerdem die Geschichten dieser Männer an...

HÖYNCK:   ... aber Film, Foto, Video, Tonband vielleicht immer nur als Hilfsmittel und die Malerei als das Eigentliche? Oder können Sie sich vorstellen, dass sich das etwas verlagert?

FRANEK:    Ich glaube, dass es nichts schadet, wenn man die Möglichkeiten, die man mit diesen Medien heutzutage hat, hinzunimmt. Mir macht es einfach Spaß, auch Dinge im Film festzuhalten, zum Beispiel den Arbeitsverlauf, auch wie ein Bild entsteht zu filmen, den Arbeitsprozess zu dokumentieren. Und auch die Geräusche, die dort für mich sehr wesentlich sind – und wenn es nur Fröschequaken oder ein Nachtigallgesang ist – aufzunehmen.

HÖYNCK:   Spurensicherung ist ja doppeldeutig zu verstehen: man sichert die Spuren in der eigenen Vergangenheit, man tastet sich sozusagen zurück, weiter und weiter. Spurensicherung aber auch, man ist neugierig auf etwas und guckt mal, wo noch etwas zu finden ist, unter der Erde... Ist das auch eine Art künstlerische Archäologie?

FRANEK:    Es ist die Neugier, Dinge erst einmal zu erforschen, und das findet dann meistens im Reflektieren und im rationalen Bereich statt, während das Erlebnis das andere Wichtige ist. Also im Augenblick genieße ich es sehr, dort in Ruhe zu sein, und das wird auch nicht ein großes Elbgrenzland-Projekt werden. Es ist eigentlich das schöne, dass ich mich ohne Familie und Verpflichtungen meinen Dingen widmen kann. Sicher wird das eine oder andere einfließen – wie die Geschichte vom dreibeinigen Hasen, der den Deich zerfressen hat. Aber trotzdem bin ich im Augenblick an dem Punkt, wo ich aus dem Ganzen, aus den ganzen Erfahrungen und den Erlebnissen und auch den Ritualen so viel umzusetzen habe, so viel schöpfen kann, dass ich im Augenblick ganz zufrieden bin und im Grunde nur Bilder mache.

Sprecher:   Um noch einmal etwas Konkreter zu werden, zitieren wir Eberhard Roters aus dem Katalog der Ausstellung in der Kommunalen Galerie des Kunstamtes Wilmersdorf Ende `79 „Maya. Spuren, Zeichen, Deutung, Bilder“, mit einem Untertitel, der auch ein Motto unserer Sendung abgeben könnte: „Ein Aneignungsprozess“:

„In dem Gemälde „Sternstunde“ sind die Zeichen selbst zu lebendigen Wesen geworden. Der Zug der Gestalt-Phänomene strömt aus dem Inneren des Bildraumes, wie aus dem Getrommel einer allumfassenden Walpurgisnacht in die Wirklichkeit des Augenblickes gerufen, auf uns zu. Die Stimmung des Bildes ist unheimlich, denn sie mutet uns eine Exaltation zu, die dazu bereit ist, die greifbare Nähe der beschworenen Dämonen zu ertragen. Der Tiefenraum des Bildes, aus dem die Dämonengestalten steigen, hat nichts mit der Perspektive eines realen, alltäglichen Umweltraumes zu tun. Es ist der irreale Raum einer braunen Nacht, die aus den Wahrnehmungsgründen unseres Unterbewußtseins in unser Tagesbewußtsein quillt und sich dort breit macht – als einzige Möglichkeit einer unmittelbaren Botschaft vom wirklichen Leben der fremden Götter. Unten links im Bild tauchen aus einem milchig silbernen Nebeldunst die Konturen eines Tempels auf. Das ist der Sender, der die Geister entläßt. Am rechten Bildrand hockt im Wetterleuchten gewitterblauer Nacht die Gestalt einer Gliederpuppe, der die Arme fehlen. Der Kopf ist erhoben, das Gesicht neigt sich nach hinten, der Mund ist aufgerissen, die Augen nach innen gerichtet. Die Gestalt der Puppe ist ein Gleichnis für die Empfängerin der dramatisch aus der Versunkenheit ans Licht drängenden Vision, die sich im Getümmel der ausgesandten Geistergestalten konkretisiert. Die Puppengestalt ist ein Identifikationssymbol für das reale Beteiligtsein der Künstlerin an dem Prozeß, der sich in dem von ihr gemalten Bild vor unseren Augen abspielt. Die Serie der Maya-Bilder Sabine Franek-Kochs ist das jüngste Beispiel für eine künstlerische Auffassung, die ihre gesamte Arbeit bestimmt, und die auch in den früher von ihr geschaffenen Bildern offenkundig erscheint, in ihren ägyptischen Motiven, in ihren Objektkästen mit Relikten mittelmeerischer Kultur und mit Fundstücken von französischen Gräbern. Es sind Wachtraumreisen in die versunkenen Zonen unserer Bewußtseinsgeschichte.“

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